Damit Dein Leben Freiheit Atmet
egoistischen Motiven. Unsere Liebe ist vermischt mit Besitzansprüchen und aggressiven Impulsen. Das Wort Gottes ist wie ein Schwert, das in mir scheidet, was sich vermischt hat. Es scheidet die reine
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Liebe von den Verunreinigungen egozentrischen Kreisens um mich selbst. Es scheidet das „Helfen wollen“ von den Machtansprüchen, das Nachgeben von Feigheit, das Kämpfen von der Angst, die sich oft genug in den Kampf mischt. Die Frage ist, wie das Wort das Vermischte in mir zu scheiden vermag. Wenn mich ein Wort ins Herz trifft, dann erlebe ich es manchmal als scheidend. Auf einmal wird mir alles klar. Mir wird klar, wie vermischt meine Liebe war, wie sich in meine Arbeit Ehrgeiz und Habgier hineingemischt haben. Ein klares Wort kann das Getrübte in mir klären. Es ist wie ein Scheiden.
Und manchmal tut dieses Scheiden weh. Daher ist das Bild des zweischneidigen Schwertes angemessen. Das Wort dringt in mein Inneres ein wie ein Schwert. Und es bleibt eine Wunde.
Denn es tut weh, wenn ich erkennen muß, wie sich sogar in die heiligsten Absichten Unlauteres hineinmischt.
In dem berühmten Meditationsbild des hl. Klaus von der Flüe ist Christus mit einem zweischneidigen Schwert dargestellt. Wer das Bild anschaut, der ahnt etwas von der klaren und scheidenden Kraft, die von Christus ausgeht. An Jesus scheiden sich meine Gedanken. So hat es der greise Simeon von Jesus verkündet: »Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.
Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden.« (Lk 2,340 Jesus kann man nicht unverbindlich anschauen. Wenn ich mich auf ihn einlasse, dann werden in mir die Gedanken geschieden. Da wird offenbar, welche Gedanken von Gott kommen und welche von den Dämonen, welche zum Leben führen und welche zum Tod. Zu Maria sagt Simeon: »Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen.« (Lk 2,35) Die Mutter, die Jesus am nächsten steht, erfährt ihren eigenen Sohn wie ein Schwert. An Jesus scheiden sich auch ihre Gedanken. Da erkennt sie, was es heißt, sich bedingungslos auf Gott einzulassen, und welche inneren Hindernisse sie davon abhalten möchten.
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IV. Der Weg der Reinigung in der
mystischen Tradition
In der mystischen Tradition war Reinigung immer ein Zentralthema. Wer sich Gott nahen wollte, der mußte sich vorher reinigen von Leidenschaften, von Sünde und Schuld.
Schon die griechischen Mystiker beriefen sich dabei auf das Wort Jesu: »Selig, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.« (Mt 5,8) Wer sich auf den Weg der
„Gotteserfahrung“, der Erleuchtung und der Vereinigung mit Gott macht, der muß zuerst den Weg der Reinigung gehen. Für Clemens von Alexandrien (um 150 bis 215 n. Chr.) ist die Reinigung von den Leidenschaften die Bedingung für die Kontemplation. Clemens spricht als erster christlicher Theologe von der »apatheia«, von der Leidenschaftslosigkeit, als der Bedingung für die Kontemplation, für die »theoria«, wie er die reine Gottesschau nennt. Er spricht von der »kataleptike theoria«, von einer Schau, die die Wirklichkeit so, wie sie ist, erfaßt. Wer die Apatheia erlangt, der kann die Menschen objektiv sehen, ohne seine eigenen Schattenseiten in sie hineinzuprojizieren. Er kann eine Situation richtig einschätzen, ohne sich emotional in sie hineinverwickeln zu lassen. Diese klare Schau der Wirklichkeit der Welt und der Wirklichkeit Gottes ist nur denen möglich, die reinen Herzens sind. Die Freiheit von den ungeordneten Leidenschaften führt nicht zur Gefühllosigkeit, sondern zu einem Zustand innerer Klarheit. Für den amerikanischen Theologen Peter Brown ist die Apatheia des Clemens nicht gleichbedeutend mit Gefühllosigkeit, sondern
»ein Zustand endgültiger Klarheit des
Ziels«. Die
Leidenschaften, von denen Clemens schreibt, sind »nicht das, was wir Gefühle zu nennen geneigt sind, sondern vielmehr
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Komplexe, die den wahren Ausdruck von Gefühlen« verhindern (Brown 145). Die Leidenschaften »lassen sich am besten als im Ego aufgebaute Tendenzen ansehen, die den Weisen dazu zwingen konnten, auf eine Situation im Übermaß zu reagieren, sie mit einer Ladung persönlicher, egoistischer Bedeutung zu besetzen, die ihre wahre Bedeutung verzerrte« (Brown 144).
Die Leidenschaften färben meine Brille, mit der ich die Wirklichkeit wahrnehme. Ich sehe die Wirklichkeit nicht so, wie sie ist, sondern durch die Brille meiner Angst oder meines Ehrgeizes oder meiner Eifersucht. Von diesen Leidenschaften
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