Damit Dein Leben Freiheit Atmet
wichtige Vorstellung in der hinduistischen Mystik. Es geht darum, das wahre Selbst zu sehen, das ursprüngliche glänzende Bild, das Gott sich von mir gemacht hat. Apatheia ist für Evagrius auch die Gesundheit der Seele. In ihr kommt der Mensch mit seinem wahren Selbst in Berührung. Da wird er ganz er selbst, da erfährt er den Einklang mit sich selbst, mit dem klaren und ungetrübten Bild, das Gott in seine Seele eingeformt hat.
Aber der Mönch soll sich immer bewußt sein, daß in seinem emotionalen Bereich immer wieder »Gedanken entstehen, die die Klarheit seines Geistes trüben« (Praktikos, Kapitel 74). Die Apatheia ist kein Dauerzustand. Die Dämonen versuchen sie immer wieder zu stören und den Mönch aus seinem inneren Frieden zu vertreiben.
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Johannes Cassian (um 365 bis 430), der Schüler des Evagrius, übersetzt den Begriff der Apatheia mit »puritas cordis«, Reinheit des Herzens. Das Ziel des spirituellen Weges ist für Cassian das Reich Gottes oder die Schau Gottes. Die Reinheit des Herzens ist für ihn die Voraussetzung, das Reich Gottes zu erlangen und Gott zu schauen. Die Reinheit des Herzens ist gleichsam das Nahziel. Und alle Anstrengungen dienen dazu, die Reinhe it des Herzens zu erwerben: »Alles also müssen wir wegen der Reinheit tun und anstreben. Für diese müssen wir die Einsamkeit suchen, für sie müssen wir das Fasten, die Nachtwachen, die Arbeiten, Blöße des Körpers, die Lesungen und übrigen Tugendübungen auf uns nehmen, damit wir nämlich durch dieselben unser Herz von allen gefährlichen
Leidenschaften frei machen und bewahren können und auf diesen Stufen zu der Vollkommenheit der Liebe aufstreben und aufsteigen.« (Grün, Reinheit des Herzens 13) Die Schau Gottes ist immer Gnade. Wir können sie durch keine Technik erreichen.
Doch die Reinheit des Herzens können wir anstreben. Sie verlangt Anstrengung.
Cassian versteht die Reinheit des Herzens zunächst als Reinheit des Willens. Sie besteht in der Bereitschaft, Gottes Willen zu tun, ohne egoistische Nebenabsichten. Die Reinheit des Willens verlangt die Freiheit von den Fehlhaltungen und Lastern, von Leidenschaften und heftigen Emotionen. Wenn der Mönch die Leidenschaften besiegt hat, dann wird er fähig, innerlich ruhig zu werden. Reinheit des Herzens ist also innere Ruhe.
Ein wesentliches Kennzeichen für die Reinheit des Herzens ist die Absichtslosigkeit. Ich will nichts Bestimmtes. Ich bin einfach da. Ich bin reine Präsenz. Diese Absichtslosigkeit bezieht sich auf menschliche Begegnungen. Ich begegne dem ändern, ohne ihn für mich zu erobern oder ihn für meine Zwecke einzuspannen. Ich bete absichtslos. Ich falle vor Gott nieder,
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weil er Gott ist. Ich benutze Gott nicht, damit es mir besser geht.
Ich will nicht seine Gaben, sondern ihm begegnen, so wie er ist.
Manche können sich diese Absichtslosigkeit zwar gut vorstellen in der Begegnung mit einem Menschen oder mit Gott. Aber sobald es um ihre Arbeit geht, meinen sie, müßten sie doch genau planen und bestimmte Absichten verfolgen. Natürlich hat die Arbeit ein Ziel. Absichtslosigkeit meint nicht, daß ich einfach so dahin arbeite, ohne zu überlegen, ob es sinnvoll oder effektiv ist. Die Absichtslosigkeit bezieht sich vielmehr auf die Nebenabsichten. Ich lasse mich ganz auf die Arbeit ein, ohne auf die Wirkung zu schielen, die ich damit bei anderen erziele.
Ich tue mein Werk, weil es sinnvoll ist, weil es gebraucht wird.
Aber ich möchte mich nicht selbst damit interessant machen.
Evagrius hat diese Absichtslosigkeit in allem Tun so beschrieben: »Ein Mensch, dessen Leben fest auf den Tugenden gründet und der ganz von ihnen durchdrungen ist, denkt nicht mehr an Gesetz, Gebot, oder Strafe. Er redet und handelt ganz aus dieser seiner Haltung heraus, die ihm zur Gewohnheit geworden ist.« (Praktikos, Kapitel 70) Bei seinem Handeln denkt der Mönch nicht an eine Forderung oder an eine mögliche Strafe. Er ist ganz in seinem Tun. Sein Tun fließt aus der Haltung der Apatheia, der inneren Freiheit, der Reinheit des Herzens.
Für Cassian ist die Reinheit des Herzens vor allem Liebe, und zwar reine Liebe, Liebe, die frei ist von Vermischungen. Dieser Liebe geht es nur noch um Gott. Der Mensch, der die Reinheit des Herzens erlangt hat, möchte ganz und gar durchlässig sein für die Liebe Gottes. Diese Liebe gilt dann allen Menschen. Sie gilt aber genausogut auch dem eigenen Leib, dem einen Selbst, und sie gilt der ganzen Schöpfung. Es ist die
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