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Damit Dein Leben Freiheit Atmet

Damit Dein Leben Freiheit Atmet

Titel: Damit Dein Leben Freiheit Atmet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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Apatheia, die Evagrius oft auch Herzensreinheit nennt, ist die genaue Beobachtung der Gedanken, der Emotionen und Leidenschaften. Evagrius nennt sie »logismoi«, gefühlsbetonte Gedanken, Überlegungen, mächtige
    Gedankengänge, die durch das Herz fließen und oft genug aufgeladen sind mit fremden und feindlichen Kräften. Nur wer seine Emotionen genau analysiert, wer erkennt, welche Emotionen in welchen Situationen auftauchen und wie sie miteinander zusammenhängen, der kann Abstand zu ihnen gewinnen und von ihrer Macht frei werden. Aber auch die Askese, wie Fasten, Nachtwachen und Handarbeit, hat für Evagrius eine reinigende Wirkung. »Das asketische Leben ist die geistliche Methode, den affektiven Teil der Seele zu reinigen.« (Praktikos, Kapitel 78) Askese ist »eine Methode, die durch Sublimierung und das „In-Ordnungbringen“ der Emotionen... zur Reinheit des Herzens fuhren soll.« (Bamberger 8)
    Die Askese bezieht sich für die frühen Mönche nicht nur auf die Gedanken und Gefühle, sondern auch auf den Leib. Aber sie wütet nicht gegen den Leib. Vielmehr haben die Mönche ihren Leib als wichtigen Partner auf dem geistlichen Weg erkannt. Ein Mönchsvater spricht von seinem Leib, »den Gott mir als Feld zur Bebauung gewährt hat, auf dem ich arbeiten und reich werden soll« (Horsiesius, bei Brown 249). Die Askese beginnt
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    beim Leib und führt über ihn zur Reinigung des Geistes. Die Wüste führte die Mönche zu der für spätantike Denker erstaunlichen Erfahrung, »daß der unsterbliche Geist durch Lehm gereinigt und geläutert werden kann« (Johannes Climacus, bei Brown 250). Das ist auch für uns eine wichtige Erfahrung. Der Weg der Reinigung muß beim Leib beginnen und von dort aus die Seele läutern. Das kann bei der Ernährung ansetzen oder beim Fasten oder bei der Handarbeit. Der Leib muß in Ordnung kommen, damit auch die Seele die ihr angemessene Struktur findet.

    Die Apatheia ist für Evagrius zugleich Liebe. Wer die Apatheia erlangt hat, der liebt nicht nur seinen Nächsten, er ist zur Liebe geworden. Er trägt in sich die göttliche Liebe, die zu allem hinfließt, was ihm begegnet. Und Apatheia äußert sich in einem tiefen Frieden der Seele. Dieser Friede entsteht durch die volle und harmonische Integration des emotionalen Lebens. Die Emotionen und Leidenschaften haben den Menschen nicht mehr im Griff, sondern sie dienen ihm. Er kann mit ihnen umgehen.
    Und sie sind alle von der Liebe durchdrungen und dadurch verwandelt. Apatheia und Liebe sind für Evagrius letztlich identisch. Die wahre Liebe erlangt der Mensch nur, wenn er zur Apatheia vorgedrungen ist. Liebe und Apatheia stützen sich gegenseitig.

    Evagrius zählt viele Merkmale auf, die auf das Vorhandensein der Apatheia hinweisen. Ob einer Apatheia erlangt hat, erkennt Evagrius auch an den Träumen. Wenn die Träume frei sind von ungeordneten Gemütsbewegungen, dann weist das darauf hin, daß jemand die Apatheia erreicht hat. Ein anderes Merkmal für die Apatheia ist, daß der Mensch von leidenschaftlichen Regungen frei bleibt, auch wenn er einem Menschen begegnet, der ihn früher geärgert und aus der Fassung gebracht hat. Und zur Apatheia gehört, daß der Mönch auch vom Groll frei bleibt,
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    wenn er sich an verletzende Situationen aus der Vergangenheit erinnert. Er kann über die Kränkungen nachdenken, ohne sich wieder gekränkt zu fühlen. Ein weiteres Merkmal für die Apatheia ist die Fähigkeit, ohne Zerstreuung beten zu können.
    Sie dient also dem Gebet und der Kontemplation. Sie ist die Voraussetzung, daß einer im Gebet ganz eins wird mit Gott.
    Evagrius spricht vom reinen Gebet. Er hat die Stufen zu diesem reinen Gebet genau beschrieben. Zunächst tauchen im Gebet Ärger und Groll auf, dann unsere Sorgen, dann die vielen Gedanken, die ohne große Gefühlsregungen in uns hin- und herschweifen. Dann treten fromme Gefühle auf, dann haben wir schöne Bilder von Gott. Doch das reine Gebet übersteigt alle diese Gedanken, Gefühle und Bilder, um im Ruhen des Geistes eins zu werden mit Gott. Die Apatheia ist die Bedingung für das reine Gebet, in dem der Mensch ohne Bilder und Formen eins wird mit dem formlosen Gott. Dabei meint Evagrius immer den dreifaltigen Gott. Kontemplation ist Hineingenommenwerden in die Liebe des dreifaltigen Gottes.
    Zur Apatheia gehört für Evagrius auch, daß die Seele ihr eigenes Licht zu sehen beginnt. Das innere Licht zu sehen, ist Ziel der byzantinischen Mystik. Es ist auch eine

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