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Damon Knight's Collection 08 (FO15)

Damon Knight's Collection 08 (FO15)

Titel: Damon Knight's Collection 08 (FO15) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damon (Hrsg.) Knight
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wütend?
    Obgleich ich blind bin, kenne ich mich in unserem Haus gut aus. Ich bin über die geräumigen Veranden gegangen und habe, als ich jünger war, auf den Stufen gespielt. Ich kenne seine vielen offenen Türen und Balkone. Ich kenne jeden Stein, das Holz, die Polster, Vorhänge, Quasten, Wandbehänge. Ich höre, wie Geräusche durch die hohen Räume hallen. Ich habe die Arme um dicke Säulen gelegt, und meine Fingerspitzen berühren sich auf der anderen Seite nicht, und immer waren um mich die Schritte meiner Schwestern, oben und unten, bei Nacht und bei Tag, ihr Rascheln und Klingeln, ihre Lieder, ihr Summen und manchmal das Klirren ihrer Speere.
    Und doch sind die Grenzen meiner eigenen Welt mir immer nah, auch wenn das Haus groß und die Räume und Veranden weitläufig sind. Manchmal scheint mir, als bewege ich mich in einer dunklen Kugel nicht größer als bis zum Ende meiner Fingerspitzen. Die Verbindung zur Welt ist das, was ich fühle, und meistens wird sie mir durch die Hände meiner Schwestern vermittelt.
    Ich glaube nicht, daß ich blind geboren wurde. Ich habe verschwommene Erinnerungen, einstmals gesehen zu haben. Am besten entsinne ich mich in meinen Träumen. Gesichter erscheinen mir, alle blaß und mit langen Haaren. Ich glaube, ich weiß wie Spitzen aussehen, und weiße und rosa Deckchen, Hängematten, die an dünnen Goldschnüren von der Decke herabhängen. In meinen Träumen erblicke ich hohe, schmale Fenster, durch die das Licht hereinfällt. Ich sehe Lampen an den Wänden und darum herum Lampenschirme, damit sie nicht blenden, aber nur in meinen Träumen haben diese Dinge für mich eine Bedeutung.
    Die Schwestern führen mich ins Haus und in ein Hinterzimmer, in dem ich meines Wissens noch nie gewesen bin. Von dort aus rieche ich frisch gebackenes Brot und den Duft von Hasenbraten oder Schweinebraten, aber ich weiß, daß diese Speisen nicht für mich bestimmt sind. Ich bin nicht hungrig, aber trotzdem ärgert es mich, daß ich nichts davon bekomme. Ich bleibe starr sitzen, während meine Schwestern mich von den weichen, leichten Kleidern befreien, die ich immer trage, und mich dafür in noch weichere, leichtere hüllen. Sie geben mir Schuhe, und ich bin doch nicht an Schuhe gewöhnt, aber sie binden sie mit festen Knoten fest, und so kann ich nicht herausschlüpfen. Sie haben dicke, geschmeidige Sohlen, als ginge ich über Moos oder über unsere dichten Teppiche, aber die Verschnürung an den Knöcheln macht mich wütend. Noch ehe sie mit dem Ankleiden fertig sind, fange ich zu zittern an, und ich betaste meinen aufgesprungenen Dolch und den anderen, stumpfen. Ich fühle mich sehr stark.
    Sie geleiten mich durch lange Gänge und dann die Haupttreppe hinauf nach oben, wo die Königin sitzt. -Die Königin nennt mich ‚meine Liebe’. „Meine Liebe“, sagt sie, und ihre Stimme klingt sehr alt und häßlich. „Meine Süße, meine Liebe“, sagt sie, „endlich bist du zu mir gekommen, mein hübschestes Mädchen.“ Meint sie denn, ich wäre wegen ihrer Komplimente gekommen? Besitzt sie denn gar keine Würde? Sie ist zu alt, das kann ich an ihrer Stimme erkennen. Ich wende ihr mein Gesicht zu. Sie ist nicht weit weg. Ich nehme meinen scharfen Dolch und springe auf sie zu, und genau wie ich befürchtet hatte, stehen mir meine Schwestern nicht bei. Ihre Hände halten mich zurück, wo sie mir doch hätten helfen sollen. Eine preßt mir ihren Arm auf die Kehle und erstickt mich fast. Wahrscheinlich Mara.
    „Sieh, meine Süße, sieh!“ schreit die Königin und jemand reißt mir die Maske vom Gesicht, und ich sehe, sehe endlich die strahlende Welt. Meine Schwestern lassen mich los, aber jetzt kann ich die Königin nicht mehr töten, weil ich nicht mehr weiß, wo sie ist. Niemand bewegt sich, und allmählich verstehe ich, daß die ganze hintere Wand aus einem Spiegel besteht. Ich entsinne mich sogar an diesen Spiegel, den ich so lange vergessen hatte, und ich erkenne ihn als Spiegel, und ich sehe nun, daß die Königin zurückgelehnt vor mir sitzt und zwar zweimal, einmal als Spiegelbild und einmal in Wirklichkeit, und daß sie nicht so alt ist, wie sie mir ihrer Stimme nach vorgekommen war. Und ich stehe da, und noch einmal hinter der Königin, und ich weiß, daß dieses Wesen in Schuhen und grünen Gewändern und mit hochgebundenen Haaren ich bin. Und überall sehe ich meine Schwestern, blasse Frauen, sanfte Kriegerinnen, einige auf ihre Speere gestützt. Jetzt bin ich unter Fremden, weil ich

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