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Damon Knight's Collection 09 (FO 16)

Damon Knight's Collection 09 (FO 16)

Titel: Damon Knight's Collection 09 (FO 16) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damon (Hrsg.) Knight
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auf dem Friedhof gewesen. Mir kam es stets als sinnlose Geste vor, das Grab zu besuchen und dort zu trauern. Auch jetzt erscheint es mir nicht weniger sinnlos, doch ist es immerhin eine Beschäftigung.
    Der Friedhof liegt hinter der kleinen weißen Kirche, die seit nunmehr sechs Jahren nicht benutzt wird, seit dem Tod von Bruder MacCombs. Niemand hat ihn ersetzt; man scheint stillschweigend übereingekommen zu sein, daß die Kirche geschlossen werden und die Gemeinde an Hawley übergehen sollte.
    Der Weg dorthin beträgt fast fünf Kilometer, vorbei an der Greening-Farm, wo das Unkraut wieder Herr geworden ist, den staubigen Pfad entlang an der alten Mühle vorbei, die schon in meiner Kindheit eine eingestürzte Ruine war, wo Schlangen sich im Schatten wanden und schliefen, vorbei an der Biegung zu Eldridges Fischweiher. Ich begegne niemandem, nur die Laute des Sommers umgeben mich: Das Geschwirre der Grashüpfer und Vögel, ein davonhüpfendes Eichhörnchen, das sich über mich lustig macht, sobald es in Sicherheit ist.
    Der Friedhof ist nur noch an manchen Stellen gepflegt, nur die Gräber jener, deren Familienangehörige noch in Somerset leben, sind gejätet und mit leuchtenden Blumen geschmückt. Das Grab meiner Mutter ist vollkommen überwuchert, und ich schäme mich plötzlich. Was würde Vater sagen? Doch anstatt Unkraut auszureißen, setze ich mich unter eine große Eiche.
    Ich blicke auf den schmalen Weg, der nach Somerset zurückführt. Vater und ich werden oft hierherkommen, sobald ich das Grab sauber und hübsch gemacht habe. Es wird nur langsam gehen, doch wir werden uns Zeit lassen, Hand in Hand den staubigen Pfad gehen, Blumen tragen, vielleicht auch ein Butterbrot und eine Thermosflasche mit Limonade oder auch Äpfel. Wenn ich die nächste Woche mit den Vorbereitungen beginne, habe ich vielleicht nächstes Wochenende alles fertig, und dann werde ich einen Krankenwagen und einen Fahrer mieten …
    Ein harter Händedruck auf meiner Schulter weckt mich auf. Ich blinzle, versuche meine Augen aufzubekommen, mich selbst zu finden. Ich werde fortgeführt, doch ich will mich losreißen, denn irgendwie bin ich immer noch dort. Ja, ich glaube, ein Mädchen im gelben Kleid zu sehen, das mit dem Rücken gegen die Eiche lehnt, aber es flimmert mir vor den Augen, und ich zerre heftig und stolpere, Hände greifen nach mir und halten mich fest.
    „Was treibt ihr Kinder euch hier herum?“ frage ich und erschrecke vor dem tiefen, fremden Ton meiner Stimme. Erst jetzt erwache ich wirklich. Ich werde zum Kombiwagen gebracht, der am Eingang zum Friedhof wartet.
    „Es ist alles in Ordnung“, sage ich und versuche, nicht mehr zu kämpfen. „Ihr habt mich aufgeweckt.“
    Sid ist zu meiner Rechten und Roger zu meiner Linken. Ich sehe Dr. Staunton im Wagen. Er sieht blaß und besorgt aus. Ich erinnere mich an den Blumenstrauß, den ich nicht auf das Grab gelegt habe, und ich sehe noch einmal zurück. Sids Hände fassen meinen Arm fester, doch ich versuche nicht, mich zu befreien. Im Wagen sage ich: „Würde einer von euch mir sagen, was das alles zu bedeuten hat?“
    „Janet, wissen Sie, wie lange Sie hier auf dem Friedhof waren?“
    „Eine halbe Stunde, vielleicht eine Stunde.“
    „Es ist fast sechs. Ich … wir sind um drei zu Ihnen nach Hause gegangen und haben dort eine Zeitlang auf Sie gewartet. Dann sind wir zum Hotel zurückgegangen. Ein alter Mann mit einem weißen Spitzbart sagte, er hätte Sie mittags gesehen, als Sie mit Blumen in diese Richtung gegangen seien. Also sind wir Ihnen nachgefahren.“ Sid sitzt hinten im Wagen neben mir, und ich starre ihn ungläubig an. Ich sehe auf meine Uhr, es ist fünf Minuten nach sechs. Ich schüttle sie und halte sie ans Ohr.
    „Ich muß tief geschlafen haben.“
    „Aufrecht sitzend, mit ausgestreckten Beinen?“
    Wir fahren zu mir, und ich gehe hinauf, um mir das Gesicht zu waschen und die Haare zu kämmen. Ich betrachte mein Gesicht sorgfältig, halte nach irgend etwas Ausschau, doch es ist alles unverändert. Unter mir höre ich Stimmen; sie verstummen, und ich weiß, daß sie jetzt die Bänder abspielen. Ich eile hinunter.
    Ich bemerke, daß Sid meine Traumkarten, die niedergeschriebenen Berichte, gefunden hat, und ich ärgere mich über ihn, daß er herumspioniert. Er sagt: „Ich mußte es wissen. Ich habe sie vorhin gefunden, als wir auf Sie warteten.“
    Roger hat das Tonband angestellt, und die nächsten zwei Stunden sitzen wir da und hören zu. Staunton

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