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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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geknackt hatte.« Ich sah die Erleichterung in ihrem Gesicht, sie schien den Moment in Gedanken erneut zu durchleben. »Sobald ich draußen war, bin ich einfach losgerannt. Zum Trampen hatte ich zu viel Angst. Damals war es noch üblich, als Anhalter mitzufahren, aber ich wollte auf keinen Fall das Risiko eingehen, mit einem Mann alleine im Auto zu sitzen, schon gar nicht mit einem Fremden. Also bin ich zu Fuß gegangen und habe unter Bäumen geschlafen. Es hat vier Tage gedauert, bis ich zurück in Keeler bei meinen Eltern war. Meine Mutter war ein echter Schatz und hat keine Fragen gestellt, sondern nur geweint und mich in den Arm genommen. Dann ist sie mit mir zum Amtsgericht gegangen und hat die Ehe annullieren lassen. Und als ich …«
    Sie schien uns jetzt nicht mehr wahrzunehmen. Ihre Augen waren glasig und schossen ziellos hin und her, bevor sie den Kopf schüttelte und durchs Fenster zum Horizont hinausstarrte. Dann fing sie erneut an zu schluchzen, und dieses Mal gab es kein Halten mehr. Nur mit Mühe verstanden wir ihre nächsten Worte, weil sich ihre Stimme immer wieder überschlug.
    »Als ich herausfand, dass ich schwanger war, hat sie mich zu einer Frau gebracht, die sich darum gekümmert hat. Ich habe es verdient, dass ich danach keine Kinder mehr bekommen konnte, und wie ich es verdient habe. Aber ich konnte einfach nicht … ich konnte das Kind dieser Bestie nicht austragen.«
    Tracy beugte sich zu ihr und streichelte sanft ihre Schulter.
    »Seit Jahren lebe ich nun schon mit dieser Schuld, dieser unerbittlichen Schuld«, fuhr sie schluchzend fort. »Ich habe getan, was ich konnte, um sie auszumerzen. Ich habe mir die Hände wundgearbeitet für diese Kirche und diese Gemeinde. Aber immer, wenn ich Noahs Busse vorbeifahren sah …« Sie brach ab, unfähig weiterzusprechen.
    Meine Ahnung bestätigte sich: Sie hatte es gewusst. Vielleicht nicht alles, aber genug, um Angst vor Noah Philben zu haben. Schließlich war er in ihre Heimatstadt zurückgekehrt und hatte seine »Kirche« direkt vor ihrer Nase eröffnet. Um sie zu kränken oder vielleicht auch um sie zu bestrafen. Und sie hatte geschwiegen. All die Jahre hatte sie geschwiegen.
    Wir saßen da und lauschten Helen Watsons leisen Schluchzern. Schließlich stand sie auf und fing an, in der Kapelle auf und ab zu gehen.
    »Ich habe keine Ahnung, was Noah zu dem gemacht hat, was er ist. Wer hat diese Bestie erschaffen? Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Seine Familie war so liebevoll, so warmherzig. Seine Eltern haben … na ja, sie haben Suppenküchen organisiert, haben Lebensmittel gesammelt und an die Armen verteilt, sogar Waisen haben sie aufgenommen. Herr im Himmel, ich verstehe es einfach nicht!«
    Ich spitzte die Ohren. »Sie haben Waisen aufgenommen?«
    »Ja, als Pflegefamilie für Kinder, die aus dem ganzen Bundesstaat zu ihnen kamen.«
    »Hat Noah je über diese Pflegekinder gesprochen?«
    Sie musste nur eine Sekunde über diese Frage nachdenken, bevor sie nachdenklich nickte.
    »Ja, ich glaube, es gab einen Pflegejungen, mit dem er sich angefreundet hat. Er hat ihn immer als seinen Bruder bezeichnet, obwohl sie natürlich nicht blutsverwandt waren. Soviel ich weiß, sind sie auch dann noch in Kontakt geblieben, als der Junge später von einem anderen Paar adoptiert wurde. Jedenfalls haben sie sich noch jahrelang Briefe geschrieben, das habe ich mitbekommen. Immer wenn Noah einen Brief von diesem Jungen gekriegt hat, ist er damit in die Wildnis verschwunden. Um sich zu besinnen und nachzudenken, wie er es genannt hat. Und wenn er zurückkam, hat er gesagt, dass er jetzt wieder sicher sei, auf dem richtigen Weg zu sein, dass er auf keinen Fall aufhören dürfe. Ich habe keine Ahnung, was er damit meinte, aber diese gemeinsame Mission war ihm das Allerwichtigste. Wichtiger als unsere Beziehung.«
    Ich versuchte Blickkontakt zu Tracy aufzunehmen, aber sie beachtete mich nicht, sondern blickte starr geradeaus.
    Helen erzählte unterdessen weiter: »Ich glaube … nein, ich weiß, dass ich noch etwas von damals behalten habe. Als ich in aller Eile meine Sachen packte, um ihn zu verlassen, habe ich eine Schublade mit Fotos und Briefen in meine Handtasche entleert, und dabei sind ein paar Gegenstände dazwischengeraten, die nicht mir gehörten. Ein Foto und ein Umschlag mit einer Adresse. Ich … ich habe beides behalten. Keine Ahnung, warum. Vielleicht dachte ich, dass sie irgendwann einmal als Beweisstücke dienen könnten.«
    »Wo sind diese

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