Danach
in welches Hotel wir verlegt worden waren.
»… dass sie in Jacks Auftrag diese Briefe überbracht hat?«, vervollständigte Tracy meine Frage. »Ich weiß es nicht. Aber ich habe das untrügliche Gefühl, dass sie genau wie Helen Watson mehr weiß, als sie eigentlich wissen dürfte. Und deshalb sollten wir sie uns vorknöpfen, bevor wir entscheiden, was wir als Nächstes tun.«
Ich nickte und öffnete langsam Tracys Brief. Am liebsten hätte ich ihn zusammen mit den anderen aus dem Fenster geworfen.
»Du hast so fleißig studiert, Tracy. So viele Bücher. Ich habe ein Buch nur für dich geschrieben. Es wartet in unserem ganz besonderen Zimmer.«
Ich reichte Christine auch die beiden anderen Briefe nach hinten und stellte überrascht fest, dass es ihr nichts auszumachen schien, sie anzufassen. Sie legte alle drei zusammen auf einen ordentlichen Haufen.
»Wie hat er diese Briefe aus dem Gefängnis geschmuggelt, ohne sie wie sonst von Jim an uns weiterleiten zu lassen?«, fragte sie. »Ich dachte, die Gefängnisleitung kontrolliert alles, was hinein- oder hinausgelangt. Alle bisherigen Briefe wurden uns von Jim übergeben. Wir müssen ihn anrufen.«
Ich stimmte ihr zu, zog mein Handy aus der Tasche und wählte seine Nummer.
Jim klang, als wäre er gerade aufgewacht.
»Haben Sie ihn? Haben Sie Noah verhaftet?«, fiel ich mit der Tür ins Haus.
»Nein. Das Grundstück war leer, dort war niemand mehr. Offensichtlich hatte die Gruppe für den Fall der Fälle einen Fluchtplan parat. Allerdings wurden ein paar Computer zurückgelassen. Unsere Informatiker versuchen gerade, die Passwörter zu knacken, aber die müssen mit Profis zusammengearbeitet haben. Die Sicherheitsvorkehrungen sind extrem ausgereift.«
»Haben Sie noch mehr Mädchen gefunden?«
»Nein. Aber man konnte sehen, dass dort Menschen unter äußerst primitiven Bedingungen untergebracht waren. Die Situation wird immer brenzliger, Sarah. Wir … wir haben einige schockierende Entdeckungen auf dem Gelände gemacht. Ich kann es daher gar nicht genug betonen: Sie drei müssen auf jeden Fall im Hotel bleiben, bis sich die Lage beruhigt hat.«
»Was sind das für Entdeckungen, die Sie gemacht haben?«
Jim zögerte, weil er wie immer abwog, wie viel er uns verraten durfte. Andererseits war ihm offensichtlich daran gelegen, uns Angst zu machen, damit wir brav im Hotel blieben.
»Im Erdgeschoss sah es aus, wie man es von Gemeinderäumen erwarten würde: Einheitsmöbel, Anschlagtafeln, Anmeldeformulare. Aber im Untergeschoss … Sarah, das gesamte Grundstück ist von einem Labyrinth aus unterirdischen Räumen unterhöhlt. Dort fanden die eigentlichen Geschäfte statt. Es war grauenvoll: überall Ketten an den Wänden, Foltergeräte, Blutspritzer auf dem Boden, Eimer für menschliche Überreste. Und in sämtlichen Räumen waren Videokameras installiert. Die haben alles gefilmt.«
»Die haben das auch noch gefilmt? O Gott!«, sagte ich angewidert.
»Ja«, fuhr Jim fort. »Wir haben das zurückgelassene Filmmaterial bereits teilweise durch eine Bildabgleichsoftware gejagt, und es sieht ganz danach aus, als wären einige der Filme kürzlich auf eine Pornoseite im Internet hochgeladen worden, die sich ›Echte Sklaven‹ nennt. Man kommt nur auf die Seite, wenn man selbst Dateien mit einschlägigen Inhalten teilt, die User sind also alle von der harten Sorte. Vermutlich hat Noah auf die Weise auch seine Kunden rekrutiert.«
Ich schloss die Augen, als könnte ich das gerade Gehörte dadurch aus meinen Gedanken verbannen.
»Ich muss Ihnen auch etwas sagen, Jim.« Meine Stimme zitterte. »Jack hat uns Briefe geschickt. Sie wurden uns heute ins Hotel gebracht. Jemand hat sie unter der Tür durchgeschoben.«
»Was? Das kann nicht sein!«
»Doch. Ich habe die Briefe hier bei mir. Christine hält sie in diesem Moment in den Händen.«
»Was steht drin?«
»Das Übliche. Er schwafelt wie immer sinnloses Zeug, aber darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, dass er irgendwie herausgefunden hat, in welchem Hotel wir wohnen. Bedeutet das nicht, dass die Person, die uns in Noahs Auftrag verfolgt, auch Jack Derber Bericht erstattet? Jim, es gibt auf jeden Fall eine Verbindung zwischen den beiden! Können Sie bitte jemanden darauf ansetzen, herauszufinden, wer Postfach 182 in River Bend nutzt beziehungsweise in der Vergangenheit genutzt hat? Noah Philben hat als Jugendlicher Briefe an diese Adresse geschickt.«
»182?« Ich hörte seinen Stift übers Papier
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