Danach
mehrere Sekundenbruchteile, bis er die Verfolgung aufnahm.
Ich wusste, dass die harte Arbeit der vergangenen vier Monate umsonst sein würde, wenn er mich erwischte. Er würde mir nie wieder vertrauen. Nie wieder würde sich eine Fluchtmöglichkeit für mich ergeben. Es hing also alles von diesem einen Moment ab.
Ich rannte so schnell ich konnte, aber mir blieb fast sofort die Luft weg. Auch meine Muskeln waren drei Jahre lang nicht mehr zum Einsatz gekommen und dementsprechend geschwächt. Meine Beine konnten kaum mein Gewicht tragen, geschweige denn einem erwachsenen Mann davonlaufen. Aber meine Angst trieb mich unaufhörlich an, während Jack sich an meine Fersen heftete.
Von nun an lief alles wie in Zeitlupe ab. Ich schien mich durch einen zähen Sirup hindurchzubewegen und hörte mich selbst laut keuchen. Auch seine Schritte hörte ich überdeutlich, jeden Zweig, der unter seinen Füßen zerbrach, jede Mulde, die er in den Boden stampfte. Er war stark, das spürte ich.
Meine Lunge flehte mich an, endlich aufzugeben. Ich rang nach Luft, meine Arme und Hände fühlten sich taub an. Auch meine Beine spürte ich nicht mehr, aber ich schien mich immer noch fortzubewegen, denn er hatte mich noch nicht erwischt. Dann erreichte ich die Stelle, an der seine Auffahrt eine Kurve machte, und rannte den Berg hinunter. Ich konnte die Straße noch lange nicht sehen, aber ich spürte sie vor mir. Sie war zu weit weg, und mir ging auf, dass ich in der Falle saß, dass es bald vorbei sein würde. Aber wenigstens hatte ich meinen ungebrochenen Lebenswillen. Jack hatte nur seine Bösartigkeit.
Sobald es bergab ging, fiel mir das Rennen ein wenig leichter, und ich schaffte noch einmal hundert Meter, was eigentlich ein kleines Wunder war. Ich hatte keine Kraft mehr, mein Tempo aufrechtzuerhalten, während ihn nun seine Wut antrieb, die ihm zusätzliche Energie verlieh.
Sekunden später spürte ich, wie er meinen rechten Arm packte. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Nach all den Schmerzen und Qualen, die ich in den letzten drei Jahren erlitten hatte, würde meine Bestrafung noch viel schlimmer ausfallen, das wusste ich.
Das alles lag in dem Laut, den ich jetzt ausstieß. Er glich mehr dem Schrei eines Tieres als dem einer verzweifelten jungen Frau. Es war vorbei, und ich wusste, dass mein Leiden nun bis in alle Ewigkeit weitergehen würde. In diesem Moment blieb keine Zeit, über die vertane Chance nachzugrübeln, aber in den vielen Stunden im Keller, die mich noch erwarteten, würde mich ein sengender Schmerz auffressen, das Wissen, dass ich so nah dran gewesen war und alles hingeworfen hatte für eine einzige unbesonnene Handlung, die sich nie wieder rückgängig machen ließ.
Er packte mich und warf mich über seine Schulter. Ich ergab mich sofort und ließ mich willenlos davontragen, fest davon überzeugt, dass mein Leben vorbei war. Für immer. Ich hoffte nur, dass ich die mentale Stärke aufbrachte, mich aus der Welt zurückzuziehen und die Schmerzen auszublenden, die er mir zufügen würde.
Diese Fähigkeit hatte ich mir nach und nach im Laufe der Jahre antrainiert. Ich hatte gelernt, an einen weit entfernten und dennoch in meinem Inneren befindlichen Ort zu fliehen und weder die Schmerzen noch das Nachlassen der Schmerzen zu erwarten, sondern alles als ein einziges, langes Kontinuum wahrzunehmen, in dem nichts hervorstach und in dem alle Gefühle gleich waren. An diesen Ort wünschte ich mich auch jetzt.
Er schleuderte mich ins Innere der Scheune, und für einen Moment löste die Orientierungslosigkeit, die mich in diesem unbekannten Raum überkam, Panik aus. Aber ich zwang mich abzuschalten. Keine Gefühle mehr. Keine emotionale Beteiligung. Es gelang mir tatsächlich, jenen innersten Ort zu erreichen, an dem meine Gedanken frei waren und auf Wanderschaft gehen konnten. Mein Körper war nur noch eine leere Hülle, ein lebloser Gegenstand wie jeder andere.
Ich versuchte, mich dem Tod zu ergeben oder, schlimmer noch, dem qualvollen Leben, das er für mich im Sinn hatte. Rasend vor Wut packte er mich bei den Haaren und einem Arm und warf mich in eine lange Holzkiste ganz hinten in der Scheune. Sie war noch enger als die Kiste im Keller, aber dafür länger, wie ein zu breit geratener Sarg. Nachdem er meinen schlaffen Körper losgelassen hatte, trat er einen Schritt zurück.
Instinktiv umklammerte ich den Rand der Kiste und versuchte mich herauszuziehen, aber als ich mich aufsetzte, traf mich seine Faust und
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