Danach
wusste, dass die Folter für diesen Tag vorbei war, wenn er sich hinsetzte und anfing zu schreiben.
Auf dem überdimensionalen Drehstuhl aus Eichenholz kam ich mir zwar wie ein kleines Kind vor, aber irgendwie hatte ich auch das Gefühl, dass er mir die nötige Kraft verlieh, um endlich über meine Flucht zu sprechen.
Ich sah zu Tracy hinüber, die sich immer noch weigerte, meinen Blick zu erwidern; dann zu Adele, die mich genau beobachtete, aber nicht preisgab, was in ihr vorging; und schließlich zu Christine, die aufgehört hatte zu schluchzen und an den Vorhang geschmiegt dasaß und ins Leere starrte. Sie hatte irgendwo ein Taschentuch aufgetrieben und betupfte sich damit die Augen.
Ich nahm Jacks teuren Füllfederhalter und fing an, den Deckel abzuziehen und wieder aufzusetzen. Irgendwann würde Tracy mürbe werden, ich musste nur lange genug warten. Irgendwann würde sie mich ansehen. Sie musste einfach.
Schließlich war es so weit. Sie drehte langsam den Kopf und spähte unter ihren schwarz gefärbten Ponyfransen kurz zu mir herüber, sah dann aber wieder weg. Jetzt, da ich ihre Aufmerksamkeit hatte, fing ich an, mit stockender Stimme zu erzählen, was damals geschehen war. Mein Hals war trocken, aber ich zwang mich weiterzureden.
Während der letzten Monate im Keller hatte ich hart daran gearbeitet, Jack den Eindruck zu vermitteln, dass ich immer mehr seine Denkweise übernahm. Ich manipulierte ihn genauso, wie er mich manipulierte. Ich wusste, dass er mich bald irgendwie auf die Probe stellen würde, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was mich genau erwartete. Er behandelte mich nun schon seit Wochen anders als sonst. Ich wurde nicht mehr regelmäßig gefoltert, auch wenn Folter immer noch als große, dunkle Drohung in der Luft hing. Er tat so, als brächte er mir eine gewisse Wertschätzung entgegen, ja beinahe so etwas wie Liebe.
Ich wusste, dass er mir mehr Freiheiten gewähren würde, wenn er glaubte, seine Methoden hätten gefruchtet, dass er mich bitten würde, Hausarbeiten zu übernehmen. Vielleicht würde er mich sogar mit nach draußen nehmen.
An jenem Tag öffnete er endlich die Haustür, dieselbe Tür, die uns jetzt wieder in seinem Haus einschloss.
Ich stand staunend davor. Eine offene Tür. Ich war zwar nackt und mit Wunden übersät, und außerdem schwach, weil ich seit Tagen nichts mehr gegessen hatte, aber dort, vor meiner Nase … war eine offene Tür.
Jack stand direkt hinter mir, während ich staunend ins Freie blickte. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken und ließ den Blick über die Scheune gleiten, den Hof, sein Auto. Mit langsamen, festen Schritten trat ich hinaus und hoffte, dass ich mich irgendwie aus seiner Reichweite entfernen konnte, damit er mich nicht einfach zurück ins Haus zog. Ich war wie benommen.
Er hatte mir versprochen, dass ich sie sehen durfte, und er hielt sein Versprechen. Dort auf dem Boden, direkt neben dem Scheunentor, lag, nachlässig in eine schmutzige blaue Plane gewickelt, eine leblose Gestalt. An ihrem Ende erkannte ich einen aufgedunsenen Fleischklumpen, blau und schwarz angelaufen. Ein menschlicher Fuß.
Ich hatte ihn monatelang angefleht, ihre Leiche sehen zu dürfen. Ich wollte mich von ihr verabschieden und hoffte, dass er mir diesen einzigen Gefallen tun würde. Und jetzt war es so weit. Als ich sie dort liegen sah, als ich den Fuß sah, der unter der Plane hervorlugte, den Körper, den er für mich wieder ausgegraben hatte, bereute ich meinen Wunsch. Der Anblick ihrer Leiche würde mir die Endgültigkeit ihres Todes erst richtig bewusst machen, das wurde mir jetzt klar. Ich hatte genug gesehen.
Gleichzeitig konnte ich keinen klaren Gedanken fassen, war unfähig zu entscheiden, ob ich noch mehr Zeit investieren musste, um ihn von meiner Loyalität zu überzeugen. Wer weiß? Wenn ich nicht solchen Hunger und solche Schmerzen gehabt hätte, wenn mir die Leiche vor der Scheune nicht so viel Angst eingejagt hätte, hätte mein Körper vielleicht nicht so heftig auf den plötzlichen Vorgeschmack von Freiheit reagiert, auf das berauschende Gefühl frischer Luft auf meiner Haut. Irgendein Funke entzündete sich in meinem Inneren und setzte meinen ganzen Körper in Brand. Ich wollte nichts als fliehen. Meine Beine fanden einen letzten Rest Muskelkraft, mein Herz einen elektrischen Impuls, der es antrieb. Völlig unvermittelt fing ich an zu rennen. Er hatte wohl geglaubt, ich sei zu verängstigt, um etwas so Dreistes zu tun, denn es dauerte
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