Danach
drückte sie einfach an der Lehne aus. Ich musste an die Brandgefahr denken und starrte wie gelähmt auf die Glut, bis jeder kleine Funke auch wirklich ausgegangen war.
»Ich muss unbedingt damit aufhören.« Ihr frisch aufgetragener Lippenstift schimmerte, als sie sich zu mir umdrehte. »Und warum schreibt eine nette junge Frau wie Sie ausgerechnet über so eine schreckliche Geschichte?«
Natürlich hatte ich keine Antwort auf diese Frage parat und bereute es, dass ich ihr weisgemacht hatte, ich würde ein Buch schreiben. Als richtige Journalistin ging ich wohl kaum durch. Aber jetzt musste ich bei meiner Geschichte bleiben. Deshalb beschloss ich, die Frage als rhetorisch zu betrachten, und lächelte nur.
»Gab es nicht schon ein paar Bücher über diesen Jack Derber?«, fragte sie weiter.
»Drei«, antwortete ich ein wenig zu schnell und ein wenig zu verbittert.
»Warum dann noch ein Buch? Wurde die Geschichte nicht schon oft genug erzählt? Oder haben Sie einen neuen ›Ansatz‹, wie man so schön sagt?«
»In diesen anderen drei Büchern … stand nicht die ganze Geschichte.«
»Ach ja?« Ihr Interesse schien geweckt, und sie beugte sich ein wenig näher an mich heran. Ich konnte den Rauch an ihrer Kleidung riechen. »Das wird meinen Mann aber brennend interessieren. Was hat denn gefehlt?«
Verlegen wich ich ihrem Blick aus, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich ihr das erklären sollte. »Um das herauszufinden, müssen Sie wohl mein Buch lesen«, sagte ich fröhlich, und wie immer klang Fröhlichkeit aus meinem Mund nicht besonders überzeugend. Aber sie schien es nicht zu bemerken oder hatte die Frage vielleicht ohnehin nur aus Höflichkeit gestellt.
»Das tue ich mir lieber nicht an. Das Leben ist schon schwer genug, ohne sich diese ganzen Horrorgeschichten reinzuziehen.« Sie hielt nachdenklich inne. »Diese armen Mädchen. Ich hoffe, sie sind einigermaßen darüber hinweg. Der Vater meiner Freundin Trisha war auch so ein Irrer, der sie missbraucht hat. Hat ihr ganzes Leben damit zerstört. Schon in der Highschool fing sie an zu saufen und ist von zu Hause abgehauen. Und irgendwann hat sie dann Crystal Meth genommen. Inzwischen hat sie ihr Leben wieder einigermaßen im Griff, aber darüber hinweg ist sie noch lange nicht. Wird sie wahrscheinlich auch nie sein.«
»Ich glaube, über so etwas kommt man nie hinweg«, sagte ich tonlos.
»Nein«, pflichtete sie mir bei. »Das schleppt man immer mit sich herum. Aber Trisha geht es schon viel besser, soweit ich weiß. Letztes Jahr ist sie nach New Orleans gezogen, weil sie dachte, dass ihr die Veränderung guttun würde. Sie hat dort eine Cousine. Als sie noch hier war – sie hat auch im Coffee Shop gearbeitet –, habe ich sie manchmal dabei erwischt, wie sie minutenlang ins Leere oder aus dem Fenster gestarrt hat. Bestimmt ist sie jetzt wieder an einem finsteren Ort, habe ich dann immer gedacht. Einem stockfinsteren Ort.«
Als sie New Orleans erwähnte, setzte ich mich kerzengerade auf. Die Geschichte kam mir bekannt vor. Tracy stammte ursprünglich aus New Orleans und hatte ebenfalls eine turbulente Kindheit hinter sich. Vermutlich war das auch schon alles. Ich zog trotzdem mein Notizbuch hervor und notierte mir, dass ich später im Hotel darüber nachdenken wollte.
Gerade als ich das Notizbuch zurück in die Tasche stecken wollte, fuhr ein Auto vor, und die Kellnerin winkte dem Mann auf dem Fahrersitz zu, bevor sie sich zu mir umdrehte. »Ich bin übrigens Val. Val Stewart.« Während ihr Mann aus dem Auto stieg und auf uns zukam, streckte sie mir die Hand entgegen und fragte: »Und wie heißen Sie?«
Beim Anblick ihrer Hand erstarrte ich. Ich musste unbedingt normal reagieren. Jetzt, wo ich wieder mit echten Menschen in Kontakt kam und nicht bloß mit den Geistern in meinem Kopf, würde ich noch öfter erleben, dass mir jemand die Hand gab. Also riss ich mich zusammen, aber genau in dem Moment, als sie meine Hand berühren wollte, verlor ich die Nerven und ließ Notizbuch und Tasche fallen. Ich war mir sicher, dass sie mein Ablenkungsmanöver durchschaut hatte. Während ich mich hinunterbeugte und meine Sachen wieder einsammelte, nickte ich zu ihr hoch und stellte mich mit einem Lächeln als Caroline Morrow vor. Sie lächelte freundlich zurück und zückte eine weitere Zigarette. Katastrophe abgewendet.
Vals Mann hieß Ray, war einen halben Kopf kleiner als sie und etwa Mitte sechzig. Er machte einen sehr gepflegten Eindruck und hatte
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