Danach
den Innenraum leer vor, bis auf eine Frau, die vor dem Altar staubsaugte. Ihre grau werdenden Haare waren zu einem unordentlichen, zerzausten Knoten gebunden, und ihre Brillenkette baumelte im Rhythmus ihrer schnellen, gründlichen Bewegungen hin und her. Ich winkte ihr zaghaft zu, und sie schaltete sofort den Staubsauger aus, wischte sich die Hände an ihrer kleinen Schürze ab und kam entschlossen auf mich zu.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie in einem Ton, den ich nicht besonders christlich fand. Was, wenn ich ein verirrtes kleines Lamm auf der Suche nach Erlösung gewesen wäre? Ich räusperte mich und überlegte krampfhaft, was ich sagen könnte, um weniger wie ein Eindringling zu wirken.
»Ja, ich … Mein Name ist Caroline Morrow. Ich bin auf der Suche nach einer alten Freundin von mir, die hier in der Gegend wohnt.« Ich suchte unbeholfen nach den richtigen Worten und schweifte viel zu weit ab. Die Frau stand neben mir und wartete darauf, dass ich endlich zum Punkt kam.
»Sylvia Dunham«, sagte ich schließlich, und noch bevor mir der Name ganz über die Lippen gekommen war, sah ich einen Schatten über das Gesicht der Frau huschen. Sie kannte den Namen also, wie vermutlich jeder im Ort.
»Sie scheint nicht zu Hause zu sein«, fuhr ich fort. »Und da ich weiß, dass sie sehr fromm ist, dachte ich, dass sie hier vielleicht jemand kennt. Oder weiß, wo ich sie finden kann.«
Sie sah mich kühl an und schüttelte den Kopf.
»Sylvia Dunham ist also kein Mitglied dieser Gemeinde?«, versuchte ich es noch einmal.
Sie verzog angewidert das Gesicht, schien sich dann aber an den Grundsatz der christlichen Nächstenliebe zu erinnern und lächelte zuckersüß.
»Sie hatten wohl länger nicht mehr mit ihr zu tun«, sagte sie. »Sylvia Dunham ist ganz sicher kein Mitglied unserer Gemeinde. Sie gehört der Kirche des Heiligen Geistes an, einer recht interessanten kleinen Sekte, oder Glaubensgemeinschaft, wie auch immer Sie es nennen möchten. Nun ja, jedem das Seine.« Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder mürrisch. Mit offenkundiger Selbstgefälligkeit blickte sie sich im Altarbereich um und bewunderte das schmucke Kirchenschiff mit seinen hohen Fenstern und Bänken aus glänzendem Hartholz. »Diese Leute haben keine richtige Kirche.« Sie brach abrupt ab, als hätte sie schon mehr gesagt, als sie eigentlich wollte. Ihre Augen waren auf die Tür gerichtet, als sie fortfuhr: »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden? Ich muss hier vor unserem abendlichen Bibelkreis fertig werden.«
»Wo finde ich jemanden aus Sylvias Gemeinde?«, fragte ich. Sie machte Anstalten, meinen Arm zu nehmen, vermutlich, um mich so schnell wie möglich aus der Kirche zu begleiten. Ohne nachzudenken kam ich ihr zuvor und bewegte mich von selbst auf die Tür zu.
»Die einzige Person, die Ihnen Auskunft über die Gemeinde geben kann, ist Noah Philben. Er ist vermutlich auch der Einzige, der überhaupt mit Nichtmitgliedern spricht. Noah Philben ist ihr religiöser Führer, falls es nicht gotteslästerlich ist, ihn so zu nennen. Er wohnt auf dem … Gemeindegrundstück, aber dort haben Sie keinen Zutritt.« Sie musterte mich von oben bis unten und schien ihre nächsten Worte abzuwägen. Dann zuckte sie mit den Schultern, und mir fiel auf, dass sie jetzt nachgiebiger klang.
»Allerdings hat die Kirche des Heiligen Geistes einen Raum gemietet, nicht weit von hier entfernt … an der Route 22, in dem Shoppingcenter mit dem Trader-Joe-Supermarkt. Das war früher mal ein Gemeindezentrum. Ich glaube, Philben hat dort sein Büro. Vor der Tür hängt ein weißes Kreuz, Sie können es nicht verfehlen.«
»Vielen Dank«, brachte ich noch heraus, bevor sie mir die Tür vor der Nase zumachte. Ich hörte die Schlösser zuschnappen.
Ich wühlte in meiner Tasche nach dem kleinen Notizbuch und dem Kugelschreiber, die ich eingepackt hatte, und notierte sorgfältig Noah Philbens Namen und die Wegbeschreibung zu seinem Büro.
Um kurz vor fünf schlenderte ich wieder zum Coffee Shop hinüber. Vorerst war der Mann der Kellnerin meine beste Option. Die Kellnerin stand bereits in einem leichten Trenchcoat, den sie fest um den Körper gezogen hatte, vor der Tür und rauchte eine Zigarette. Sie sah mich nicht kommen und erschrak, als ich plötzlich vor ihr stand.
»Ach, Sie sind’s«, sagte sie und klang längst nicht mehr so reserviert wie vor einer Stunde. Sie zeigte auf eine kleine Holzbank links neben der Tür, und wir setzten uns. Ihre Zigarette
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