Danach
Sommernacht, und die Luft war schwer vor Feuchtigkeit, so schwer, dass Tracy das Gefühl hatte, gegen eine Wand zu laufen, als die Tür hinter ihr zufiel. Der Schweiß rann ihr von der Stirn und tropfte ins billige Leder ihrer Second-Hand-Korsage. Sie lehnte sich gegen einen Müllcontainer und glitt in den Unrat Tausender untergegangener Leben hinab – in gebrauchte Kondome, Zigarettenschachteln, zerrissene Unterwäsche, Teile einer verrosteten Kette. Mitten in der Glückseligkeit des Drogenrauschs trieb ihr irgendetwas Tränen in die Augen und zwang sie zum Nachdenken über alles, was passiert war. Ein tiefes, animalisches Heulen brach aus ihr hervor, bis ihr auch noch dieser letzte Bewusstseinsrest entglitt.
Als sie – vermutlich Tage später, sie hätte es nicht sagen können – im Keller auf dem kalten Steinboden erwachte, lag sie in einer Lache ihres eigenen Erbrochenen.
8
Mit dem Handy in der Hand saß ich im Hotelzimmer auf dem Bett und betrachtete mein Gesicht im Spiegel über der leeren Kommode. Ich musste mir Mut zureden, damit ich endlich den unvermeidlichen Anruf erledigte. Es war Montagmorgen. In der anderen Hand hielt ich einen Zettel, auf dem ich die Nummer von Tracys Büro in der Redaktion notiert hatte. Schließlich holte ich tief Luft und wählte.
Nach dem dritten Klingeln hörte ich sie Hallo sagen, aber meine Stimme gehorchte mir nicht, und ich konnte nicht antworten.
»Hallo?!«, wiederholte sie mit ihrer üblichen Ungeduld.
»Tracy?« Sie war die Einzige, die ihren alten Namen behalten hatte.
»Ja. Wer ist denn da? Ist das etwa ein Verkaufsgespräch?« Sie war jetzt schon sauer.
»Nein, ich bin’s. Sarah.« Ich hörte ein angewidertes Schnauben, und dann das Freizeichen.
»Das lief ja großartig«, sagte ich zu meinem Gesicht im Spiegel, bevor ich die Nummer erneut wählte. Es klingelte viermal, bevor sie endlich abnahm.
»Was willst du?«, fragte sie wütend. Ihre Stimme troff nur so vor Verachtung.
»Tracy, ich weiß, du willst nicht mit mir sprechen, aber lass mich bitte ausreden.«
»Geht es um die Bewährungsanhörung? Dann kannst du dir den Anruf sparen. Ich habe schon mit McCordy gesprochen, er weiß, dass ich komme. Wir beide haben nichts, worüber wir miteinander reden müssten.«
»Es geht aber gar nicht um die Anhörung. Na ja, indirekt schon.«
»Was denn nun, Sarah? Krieg’s auf die Reihe!«
Sie war immer noch ganz die Alte. Ich wusste, dass mir nur ungefähr zwanzig Sekunden blieben, um sie zu überzeugen, also kam ich direkt zur Sache: »Tracy, kriegst du auch Briefe von ihm?«
Pause. Offenbar wusste sie, was ich meinte. Dann endlich, mit misstrauischer Stimme: »Ja. Warum?«
»Ich auch, und ich glaube, dass er uns in den Briefen etwas mitteilt.«
»In seiner verrückten Wahrnehmung teilt er uns garantiert etwas mit, aber die Briefe ergeben nicht den geringsten Sinn. Er ist geistesgestört , Sarah. Vollkommen durchgeknallt. Vielleicht nicht so verrückt, dass er vor Gericht als schuldunfähig durchgehen würde, aber verrückt genug, dass man seine Briefe ungeöffnet wegwirft.«
Ich schnappte nach Luft. »Hast du das etwa getan, Tracy? Sie weggeworfen?«
Schweigen. Dann sagte sie widerwillig: »Nein. Ich habe sie hier.« Ihre Stimme war jetzt leiser geworden.
»Mag sein, dass er verrückt ist, aber ich habe trotzdem etwas herausgefunden. Ich glaube, dass er dir und vielleicht auch Christine in meinen Briefen Nachrichten übermittelt, während in seinen Briefen an dich Dinge stehen, die mir etwas sagen. Verstehst du?«
Tracys Antwort ließ eine ganze Weile auf sich warten. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ich sie nicht unterbrechen durfte. Sie dachte nach.
»Und was bringt uns das, Sarah? Glaubst du, er teilt uns mit, wie viel wir ihm bedeuten? Wie sehr er uns noch immer liebt? Glaubst du wirklich, er verrät uns etwas, was seiner Bewährung im Weg steht? Er ist ja vieles, Sarah, aber dumm ist er nicht.«
»Nein, dumm ist er nicht. Aber er liebt das Risiko. Er spielt gerne Spielchen und will uns vielleicht ein bisschen aufscheuchen. Bestimmt genießt er die Vorstellung, dass er uns etwas Wichtiges mitteilt und wir zu dumm sind, es zu verstehen.«
Tracy schien sich dieses Argument gründlich durch den Kopf gehen zu lassen, denn die Leitung blieb eine ganze Weile still. »Da könnte was dran sein. Also, was machen wir? Uns gegenseitig die Briefe schicken?«
Ich holte tief Luft. »Dafür ist die Sache zu komplex, fürchte ich. Ich glaube …
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