Danach
Wand zwischen unseren Betten. Zufrieden begutachteten wir unser Werk.
Vielleicht hat die Welt am Ende eine perverse Art von Gerechtigkeit an uns geübt. Oder vielleicht war das Risiko, in dieser Welt zu leben, doch größer, als wir kalkuliert hatten. Auf jeden Fall hatten wir unsere Grenzen überschritten, indem wir so taten, als lebten wir ein normales Studentenleben. Also wirklich, dachte ich hinterher, wir wussten es doch eigentlich besser. Aber damals war die Versuchung, sich zu verhalten, wie die anderen es taten, einfach zu groß gewesen. Wir hatten ohne die jeweils andere Seminare besucht, selbst wenn sie an entgegengesetzten Enden des Campus stattfanden. Wir waren manchmal lange nach Einbruch der Dunkelheit in der Bibliothek geblieben und hatten mit neuen Freunden geplaudert. Wir waren sogar zu ein paar Campuspartys gegangen. Wie ganz gewöhnliche Studentinnen.
Nach nur zwei Monaten an der Uni hegte ich insgeheim tatsächlich die Hoffnung, dass wir anfangen könnten, wie normale Menschen zu leben. Ich glaubte, dass wir die Ängste und Sorgen unserer Jugend einfach beiseiteschieben und wie unser Kinderspielzeug in Kartons verpacken könnten. In ketzerischer Abkehr von allem, woran wir glaubten, erwachte in mir der Gedanke, dass unsere Kindheitsobsessionen vielleicht nur das waren: Obsessionen. Und dass wir jetzt endlich erwachsen wurden.
Glücklicherweise sprach ich diese halbgaren Überlegungen nie aus und handelte auch nicht danach. Nur so war ich während der dunklen Tage und Nächte in Gefangenschaft halbwegs in der Lage, sie mir zu verzeihen. Wir waren doch nur College-Mädchen, die getan hatten, was College-Mädchen eben tun! Außerdem waren wir unserem Protokoll bis zum bitteren Ende treu geblieben, wie ich mir später tröstend sagte. Fast mechanisch hatten wir unsere Schutzstrategien befolgt, mit militärischer Präzision und Konzentration, ein kontinuierlicher täglicher Sicherheitsdrill. Jede Unternehmung musste zunächst einen Dreipunktetest bestehen, fand nur nach genauen Regeln statt und setzte immer einen Plan B voraus. Wir waren auf der Hut. Wir waren mehr als vorsichtig.
Der Abend, an dem es passierte, bildete keine Ausnahme. Noch vor unserem Einzug ins Wohnheim hatten wir recherchiert, welcher Taxiservice die beste Unfallbilanz vorzuweisen hatte, und hatten dort ein Kundenkonto eröffnet. Wir ließen die Kosten direkt von unseren Kreditkarten abbuchen, für den Fall, dass uns je das Bargeld ausging oder uns das Portemonnaie gestohlen wurde. Schließlich war »Niemals irgendwo festsitzen« Punkt siebenunddreißig auf unserer Liste. Nach zwei Monaten erkannte der Typ in der Zentrale bereits unsere Stimmen. Wir mussten ihm nur eine Abholadresse nennen und wurden Minuten später sicher zurück in unsere Wohnheimfestung kutschiert.
An besagtem Abend besuchten wir eine Privatparty außerhalb des Campus – ein Novum für uns –, die gerade erst richtig in Schwung kam, als wir gegen Mitternacht beschlossen, dass wir unser Glück genug herausgefordert hatten. Wir riefen beim Taxiservice an, woraufhin in Rekordzeit eine etwas heruntergekommene schwarze Limousine erschien. Uns fiel nichts Außergewöhnliches auf, bis wir auf dem Rücksitz saßen und uns angeschnallt hatten. Das Auto roch komisch, aber ich tat es mit einem Schulterzucken als Ärgernis ab, das bei einem kleinen privaten Taxiunternehmen schon einmal vorkommen konnte. Nachdem wir ein paar Minuten gefahren waren, döste Jennifer ein, den Kopf an meine Schulter gelegt.
Diese Erinnerung, die letzte an unser früheres Leben, ist in meinem Gedächtnis als Moment vollkommenen Friedens gespeichert. Ich war mit mir im Reinen und freute mich auf das Leben, das echte Leben. Wir machten Fortschritte. Wir würden glücklich sein. Ich muss wohl ebenfalls eingenickt sein, denn als ich die Augen wieder aufmachte, saßen wir in völliger Dunkelheit auf dem Rücksitz. Das matte Leuchten der Sterne hatte die Lichter der Stadt ersetzt, und die schwarze Limousine raste auf einem leeren Highway dahin. Vor uns war nur undeutlich die Linie des Horizonts zu erkennen. Das hier war nicht der Weg nach Hause.
Panik stieg in mir auf, bis ich mich an Punkt sieben auf der Niemals-Liste erinnerte: »Niemals in Panik geraten«. Blitzschnell rekonstruierte ich den Tag und suchte vergeblich nach einem Fehler. Denn zu so etwas konnte es nur durch einen Fehler gekommen sein. Das war nicht unser »Schicksal«.
Plötzlich ging mir voller Bitterkeit auf, dass wir den
Weitere Kostenlose Bücher