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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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Sätze so gut wir konnten zuzuordnen. Mit den sauberen Blockbuchstaben, die Jennifer damals für unsere Tagebücher verwendet hatte, schrieb ich »New Orleans«, »Kostüm« und »See« unter Tracys Namen. Sie warf einen Blick darauf und sah dann schnell wieder weg. Das Wort »See« musste schmerzhafte Erinnerungen in ihr wecken.
    Sorgfältig ging ich Tracys Briefe durch, voller Angst vor dem, was ich finden würde, aber auch voller Ungeduld. Schließlich entdeckte ich einen Satz, der eindeutig auf mich und Jennifer Bezug nahm: »Ein Zusammenstoß, und dann ertrankt ihr, so schnell, in einem Meer aus Zahlen.« Ich schrieb die Wörter »Zusammenstoß« und »Meer aus Zahlen« unter meinen Namen. Natürlich. Der Autounfall, bei dem Jennifers Mutter ums Leben gekommen war. Unsere Tagebücher. Er hatte so viel über uns herausgefunden, während wir seine Gefangenen gewesen waren, so mühelos.
    Fast eine Stunde lang studierten wir die Briefe, bis jede Spalte zwei Seiten umfasste. Dann lehnte sich Tracy zurück und seufzte. Dieses Mal lag keine unterschwellige Drohung in ihrem Blick, als sie mich ansah.
    »Die Briefe ergeben keinerlei Sinn. Natürlich geht es darin um uns. Und natürlich macht es ihm Spaß, uns mit seinem Wissen zu quälen. Anscheinend verbringt er im Knast eine Menge Zeit damit, sich an seinen Erinnerungen aufzugeilen. Aber was ihren interpretatorischen Nutzen angeht, kriegen die Briefe von mir eine glatte Sechs.«
    »Es ist ein Rätsel«, erklärte ich. »Eine Art Silbenrätsel. Ich weiß, dass wir es knacken können, wenn wir nur logisch genug an die Sache herangehen. Wenn wir Ordnung in seine Gedanken bringen, wenn wir …«
    »Eins und eins zusammenzählen?«, unterbrach mich Tracy frustriert. »Glaubst du wirklich, das hilft uns hier weiter? Glaubst du, man könnte das ganze Leben einordnen, kategorisieren, erfassen? Deiner Ansicht nach folgt das Universum einer inneren Logik, und wenn wir es nur gründlich genug statistisch untersuchen, können wir eine Art philosophischen Algorithmus knacken. So funktioniert das Leben aber nicht, Sarah. Ich dachte, das hättest du mittlerweile kapiert. Wenn drei Jahre in einem Kellerverlies nichts geholfen haben, kann dich auch nichts, was ich sage, eines Besseren belehren. Guck dir doch an, was er mit uns gemacht hat! Das Rätsel sind unsere Köpfe, nicht diese Briefe. Er hat jahrelang darauf hingearbeitet, uns gründlich durcheinanderzubringen, und du glaubst, du könntest das einfach so überwinden und mit Hilfe deiner Teeniemethoden irgendeine versteckte Botschaft entschlüsseln? Vielleicht willst du mir ja auch noch weismachen, dass er unsichtbare Tinte benutzt hat?« Sie stand auf und stürmte in die Küche. Ich folgte ihr.
    Nachdem sie alle meine Küchenschränke aufgemacht hatte, fand sie endlich, was sie suchte. Ich starrte sie ungläubig an. Sie hatte eine Packung Cornflakes in der Hand und fing an, sie aufzureißen.
    »Was machst du da?« Weil ich Angst hatte, dass sie nun völlig verrückt geworden war, wich ich unauffällig vor ihr zurück und überlegte, wie viele Sekunden es dauerte, zur Haustür zu gelangen, die Schlösser hinter mir zuzuschließen und den Aufzug zu erreichen.
    »Ich suche nach dem Dechiffriergerät, Sarah. Das verstecken die doch manchmal in Cornflakespackungen. Ich suche das geheime Spionagewerkzeug, das dieses Rätsel für uns löst.«
    Sie muss wohl die Panik in meinen Augen gesehen haben, denn sie stellte die Packung zurück auf die Arbeitsplatte und holte dreimal tief Luft. Dann bedeckte sie das Gesicht mit den Händen und massierte sich mit den Fingern die Kopfhaut. Als sie die Hände sinken ließ und mich ansah, waren ihre Augen trocken, und in ihrer Stimme lag nun Bestimmtheit.
    »Es kann nicht unsere Aufgabe sein, diese Briefe zu sichten. Schick sie zusammen mit deiner kleinen Tabelle an McCordy zurück. Soll er doch seine Kollegen darauf ansetzen. Die haben spezielle ›Verfahren‹ und ›Methoden‹ und ›Strategien‹. Wir haben nur jede Menge kranke Erinnerungen, und je ausführlicher wir uns mit ihnen befassen, desto kaputter bleiben wir innerlich.«
    Ich stand neben ihr und starrte an ihr vorbei auf einen kleinen Fleck auf dem Küchenboden, einen Fleck von der Art, wie man sie nie wieder wegbekommt, ohne die ganze Küche zu renovieren.
    Tracy starrte mich deprimiert an. »Ich gebe ja zu, dass du kurzzeitig meine Hoffnungen geweckt hast, aber das hier ist eine Vergeudung meiner wertvollen Zeit. Ich muss hier raus

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