Danach
streng geschützten Enklave befand, Beachtung zu schenken.
Bis sich für Christine im Alter von sechzehn Jahren alles veränderte, weil sie herausfand, wie ihre Familie es schaffte, ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status aufrechtzuerhalten. Sie erfuhr, dass die Reichtümer, die ihre Vorfahren angehäuft hatten, längst zur Neige gegangen waren und ihr Vater dies kompensierte, indem er nicht nur mit hochprofitablen Finanzprodukten handelte, sondern auch mit Informationen. Informationen, mit denen man viel Geld verdienen konnte und die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren.
Ihm wurde vorgeworfen, dass er die Gewinnbilanzen mehrerer Blue-Chip-Unternehmen schon Tage vor ihrer Veröffentlichung gekannt und dies zu seinem Vorteil genutzt hatte. Das Timing seiner Aktienkäufe und Verkäufe war jedenfalls verdächtig und warf kein gutes Licht auf ihn.
Anfangs glaubte sie ihrem Vater noch und ergriff vehement für ihn Partei. Sie verfolgte den Prozess in allen Einzelheiten, stellte Fragen und versuchte, die komplexen Zusammenhänge seiner ausgeklügelten Finanzgeschäfte zu durchschauen. Aber je mehr sie erfuhr, desto glaubhafter wurde, was Staatsanwaltschaft und New York Post behaupteten, nämlich, dass er schuldig und die Wall Street ein Insiderklub mit eigenem Moralkodex war. Ihr dämmerte, dass die illegalen Geschäfte ihres Vaters für ihn und seine Geschäftspartner durchaus nichts Unanständiges hatten, sondern im Gegenteil vollkommen normal waren. Immer wenn sich ihre Augen vor Entsetzen weiteten, sagte ihr Vater, sie solle sich nicht aufregen, so funktioniere das Geschäft nun mal.
Aber Christine konnte und wollte das nicht akzeptieren. Wenn sie nachts auf der Dachterrasse stand und in den beschaulichen Innenhof ihres Gebäudes blickte, weinte sie leise vor sich. Jetzt wusste sie, dass der luxuriöse Lebensstil, den sie immer als selbstverständlich betrachtet hatte, Betrug und Unehrlichkeit zu verdanken war. Sie konnte die wunderschön eingerichtete Wohnung, die Luxuslimousinen und ihren Kleiderschrank voller Designerklamotten nicht mehr ansehen, ohne an das schmutzige Geld zu denken, mit dem das alles bezahlt worden war.
Beim Sonntagsbrunch im Cosmopolitan Club mit seinen funkelnden Kronleuchtern, den glitzernden Silbergedecken und dem klirrenden Kristall saß sie in ihrem hellblauen Twinset, das so gut zu ihren Augen passte, neben ihrer Mutter und starrte die eleganten Damen um sie herum an, die samt und sonders der gehobenen Gesellschaft angehörten. Es widerte sie an, wie ihre geübten Finger mühelos die feinen Porzellantassen balancierten und wie ihre puderrosa geschminkten Lippen höfliche, oberflächliche Konversation von sich gaben. Diese Menschen taten so, als stünde ihnen das alles zu, als wäre all dieser Luxus ihr Geburtsrecht. Christine fragte sich, ob sie sich ihr Geld auf dieselbe Weise erschlichen hatten wie ihr Vater.
Aber sie hatte auch ihren Stolz. Jeden Tag ging sie mit hoch erhobenem Kopf auf ihre teure Privatschule und sprach mit niemandem über ihren Kummer. Wenn sie morgens an den Reportern vorbeikam, die vor ihrem Wohngebäude lauerten, blickte sie ohne zu blinzeln geradeaus. Aber nach der Schule schloss sie sich in ihrem Zimmer ein und las heimlich die vernichtenden Artikel, die sie schrieben. Die Tränen brannten ihr in den Augen, als sie schwarz auf weiß die Wahrheit vor sich sah, von der nun die ganze Welt erfahren würde.
Am Ende überstand ihr Vater die Affäre fast unbeschadet, was Christine klar gewesen wäre, wenn sie auch nur die geringste Ahnung davon gehabt hätte, wie die Finanzwelt funktionierte. Sein Unternehmen zahlte der Aufsichtsbehörde ein saftiges Bußgeld, und seine teuren Anwälte trieben einen kleineren Angestellten auf, der den Sündenbock spielte, damit Christines Vater einer Gefängnisstrafe entging. Die Presse verlor irgendwann das Interesse, woraufhin das Leben ihrer Eltern wieder zur Normalität zurückkehrte. Alle aus den Fugen geratenen Zahnrädchen der großen Maschine rasteten wie von selbst wieder ein. In den gesellschaftlichen Kreisen, in denen sich Christines Familie bewegte, passierte so etwas häufiger, ein folgenloses Ärgernis, weiter nichts. Teil des großen Spiels, ein harmloser Ausrutscher.
Aber es war zu spät: Christine waren durch den Vorfall die Augen geöffnet worden; sie konnte nicht einfach weiterleben, als wäre nichts geschehen.
Nachdem sie wochenlang mit sich gerungen hatte, traf sie eine
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