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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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ihrer letzten drei Jahre im Keller erlitt sie einen vollkommenen Zusammenbruch. Ihr Zustand verschlechterte sich zusehends, sie baute immer mehr ab.
    Lange bevor ihr Verhalten merkwürdig wurde, fing sie an, ihre Körperpflege zu vernachlässigen, was viel gefährlicher für sie war. Bald sah sie schmutzig und ungepflegt aus, bald klebte ihr der Dreck des Kellerbodens im Gesicht, und ihr verfilztes Haar stand in allen Richtungen vom Kopf ab. Und bald begann sie zu stinken. Und Jack sah das gar nicht gerne.
    An manchen Tagen, wenn sie gekrümmt im Dunkeln kauerte, sich mit geschlossenen Augen vor- und zurückwiegte und unverständliches Zeug murmelte, jagte sie uns genauso viel Angst ein wie er.
    Ich versuchte gar nicht erst zu verstehen, was sie da sagte. Ich wollte es auch gar nicht.
    Um ehrlich zu sein, war es eine Erleichterung, dass sie so viel schlief, denn wenn sie wach war, musste man sie die ganze Zeit im Auge behalten. Manchmal waren wir völlig erledigt, weil wir nie wussten, wann der nächste heftige Heulkrampf oder Schlimmeres zu erwarten war. Sogar Tracy, ihre einstige Beschützerin, schien bisweilen Angst vor ihren Ausbrüchen zu haben. Jedenfalls hielten wir am Ende unseres Aufenthalts beide so viel Abstand zu ihr, wie es uns die Enge des Kellers erlaubte.
    Wenn man mich damals gefragt hätte, hätte ich geantwortet, dass Christine von uns dreien diejenige sein würde, die sich nie wieder erholen würde, weil ihre Psyche irreparable Schäden davongetragen hatte. Ich hätte prophezeit, dass die traumatische Erfahrung sie für immer zerstört hatte, dass sie nie wieder in der Lage sein würde, auch nur annähernd ein normales Leben zu führen.
    Wie man sich doch irren kann. Noch nie in meinem Leben habe ich mit irgendetwas so falsch gelegen.

12
    Als Tracy und ich vor der Episcopal School eintrafen, einem imposanten Stadthaus in tadellos gepflegtem Zustand, strömten gerade liebenswerte, wohlgeratene Kinder aus den Toren, die von Kindermädchen oder Vorzeigemüttern begleitet wurden. Auf der Straße reihten sich die schwarzen Limousinen.
    Wir beobachteten das Treiben aus gebührendem Abstand, damit das Aufsichtspersonal nicht unruhig wurde. Weil Tracy dennoch misstrauische Blicke auf sich zog, wechselten wir die Straßenseite und gaben vor, in ein Gespräch vertieft zu sein.
    »Siehst du sie?«, fragte ich, da ich der Zurschaustellung von Upper-East-Side-Perfektion den Rücken zudrehte.
    »Nein. Wahrscheinlich hat sie eins ihrer Kindermädchen geschickt«, antwortete Tracy verächtlich.
    »Sie hat gleich mehrere?«
    »Das war vielleicht ein bisschen ungerecht, ich spekuliere nur. Oh, warte, ich glaube, da hinten kommt sie. Schwer zu sagen, diese Frauen sehen alle gleich aus. Schnell, wir fangen sie ab, bevor sie zu nah an der Schule ist.«
    Wir rannten die Straße entlang und kamen keuchend und mit hochrotem Kopf bei Christine an. Sie machte instinktiv einen Satz nach hinten.
    Ihre goldblonden Haare schimmerten unnatürlich, genau wie ihre von Natur aus durchscheinende Gesichtshaut. Ihre Zähne waren strahlend weiß und vollkommen gleichmäßig, und ihre kornblumenblauen Augen sahen aus, als wären sie nachkoloriert. Sie war unglaublich dünn, und jedes Detail ihres lässigen Freizeitlooks war perfekt aufeinander abgestimmt. Sie sah aus, als wäre sie gerade dem Schaufenster einer schicken Boutique entstiegen. Bestürzt blickte ich an meinem Reiseoutfit hinunter: Jeans, T-Shirt und Kapuzenpullover.
    »Christine!«, rief Tracy triumphierend und wirkte beinahe glücklich darüber, nach all den Jahren wieder mit ihr vereint zu sein. Ich verspürte einen Stich der Eifersucht, der sich sofort wieder verflüchtigte, als ich sah, wie wenig Christine Tracys Gefühle erwiderte.
    Sie baute sich kerzengerade vor uns auf und sagte hochmütig: »Diesen Namen verwende ich nicht mehr, das wisst ihr genau.«
    »Ach, stimmt ja«, antwortete Tracy. »Ich vergesse immer, dass ihr diese albernen Tarnnamen angenommen habt. Wie war deiner noch mal? Muffy? Buffy?«
    Christine musterte Tracy mit unverhohlenem Ärger. »Meine Freunde nennen mich Charlotte. Warum gehst du nicht zurück zu deiner Protestbewegung und lässt mich in Ruhe? Und du!« Sie wandte sich an mich und sah dann wieder Tracy an, sichtlich bemüht, die richtigen Worte zu finden. »Es überrascht mich, euch beide zusammen zu sehen.«
    Ich beschloss, direkt zur Sache zu kommen: »Jacks Bewährung wird in vier Monaten verhandelt …«
    Christine unterbrach mich

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