Danach
damit er mich vor dem Bus abschirmte. Mit der rechten Hand wühlte ich in meiner Tasche nach Notizbuch und Kugelschreiber, gab diesen Plan aber nach ein paar Sekunden wieder auf. Stattdessen zog ich mein Handy aus der Innentasche der Lederweste und wählte alle Ziffern meiner Festnetznummer in New York bis auf die letzte. Dabei starrte ich angestrengt nach vorne in die Dunkelheit, aber ich war zu weit weg, um das Nummernschild des Busses lesen zu können. Also warf ich das Handy wieder neben mir auf den Sitz, verfehlte ihn jedoch, woraufhin es klappernd auf dem Boden landete.
»Mist«, murmelte ich. Nach weiteren zwanzig Minuten bog der Bus links in einen Feldweg ab, der versteckt zwischen Bäumen lag. Ich fuhr knapp fünfzig Meter an dem Feldweg vorbei, schaltete dann die Scheinwerfer aus und wendete.
Während ich dem Bus langsam einen Hügel hinauffolgte, tastete ich auf dem Boden vor dem Beifahrersitz nach meinem Handy. Scheiße. Der Akku war herausgefallen, vergeblich suchte ich in der Dunkelheit danach.
Dann hielt ich an, weil sich das altbekannte Schwindelgefühl in meinem Kopf breitmachte. Ich ging jeden Trick der kognitiven Verhaltenstherapie durch, der mir einfiel, visualisierte die Panik, stellte sie mir als eine Kugel vor, die von mir abgetrennt war, die nichts mit mir zu tun hatte.
Es funktionierte nicht, konnte nicht funktionieren, da ich genau wusste, wie gerechtfertigt meine derzeitige Angst war. Irgendwann hatte ich mich so weit beruhigt, dass ich nicht mehr hyperventilierte, aber meine Eingeweide schienen in meinem Bauch nach oben zu drängen. Ich holte mein Tränengas und mein Pfefferspray aus der Tasche und legte beides neben mir auf dem Sitz bereit. Dann blickte ich auf das Foto von Jennifer, das ich am Handschuhfach befestigt hatte, und zog daraus so viel Kraft wie möglich. Ich musste weiterfahren.
Ganz langsam rollte ich noch ein Stück weiter, bis ich zu einer Lichtung im Wald kam. Ich dankte meinem Glücksstern dafür, dass der Mietwagen dunkelgrau war. Dadurch blieb ich hoffentlich unbemerkt. Keine fünfzig Meter vor mir war jetzt eine kleine Lagerhalle aufgetaucht mit einem Garagentor und einer kleinen fensterlosen Tür am rechten Ende. Ein einzelner Scheinwerfer beleuchtete den Bereich davor.
Vorsichtshalber wendete ich langsam den Wagen, damit ich jederzeit die Flucht ergreifen konnte. Dann saß ich vollkommen still und machte den Motor aus. Nur mein beschleunigter Atem war zu hören. Ich drehte mich auf dem Sitz um, damit ich besser sehen konnte, und rührte mich dann nicht mehr, noch nicht einmal, um erneut nach dem Akku zu suchen.
Schemenhaft konnte ich sehen, wie Noah Philben um das Gebäude herumging und etwas holte, das aussah wie eine große Plane. Zusammen mit dem anderen Mann bedeckte er den Bus damit, bevor sich beide umdrehten, um die Lagerhalle zu betreten. Plötzlich machte Noah kehrt und ging zur Seitenwand der Halle, um einen Schalter umzulegen. Der Scheinwerfer erlosch.
Völlig regungslos saß ich da, sogar die Luft hielt ich an, obwohl er meinen Atem aus der Entfernung unmöglich hören konnte. Meine Hand umklammerte den Schlüssel im Zündschloss, damit ich ihn umdrehen konnte, sobald er auch nur einen Schritt in meine Richtung machte. Ich wartete. Die Sekunden fühlten sich wie Stunden an. Geh wieder rein, flehte ich in Gedanken. Endlich, nach ein oder zwei qualvollen Minuten, drehte er sich um und stapfte zurück in die Halle.
Was war in dem Bus? Und warum hatten sie ihn mit einer Plane bedeckt? Was trieben die beiden in der Lagerhalle? Hatte es etwas mit Philbens Sekte zu tun?
Alles was ich über Sekten wusste, stammte aus den Nachrichten oder der Zeitung. Vielleicht wurde in der Halle ja irgendein mystisches Ritual vollzogen oder ein Massenselbstmord vorbereitet oder die Hochzeit des Sektenführers mit mehreren minderjährigen Bräuten. Vielleicht bewahrten die Mitglieder in der Halle aber auch ihre Waffen auf, die sie brauchen würden, wenn die Polizei ihr Gelände stürmte, um die Sekte aufzulösen. Was auch immer in der Lagerhalle vor sich ging, sie war meine einzige Verbindung zu Sylvia. Wenn ich nicht ergründete, was sich da vor meinen Augen abspielte, würde ich keinen Schritt weiterkommen.
Ich wartete mindestens eine halbe Stunde im Auto, völlig bewegungslos, kaum atmend. Irgendwann ließ ich das Autofenster ein paar Zentimeter herunter, um die kühle Nachtluft hereinzulassen. Kurzzeitig überlegte ich sogar, auszusteigen und nachzusehen, was
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