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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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wäre nie auch nur ein Schatten auf diese Studenten mit ihrer glatten Haut und ihrem unbekümmerten Lachen gefallen. Das Semester war beinahe zu Ende, und sie schmiedeten bestimmt schon Pläne für Praktika, Ferienjobs, Aufbaustudiengänge. Ich würde nie erfahren, von welchen schlimmen Erfahrungen sie sich erholten. Vielleicht würde es niemand je wissen. Möglicherweise war es genau das, was Angepasstheit bedeutete: Man passte sich den Umständen an, und so musste es wohl auch sein, wenn man jung war und bereit, sich ins Leben zu stürzen. Man ließ die Vergangenheit hinter sich, worin auch immer diese bestand, und zwang sich, frei zu sein.
    Ich wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel und ging an den jungen Leuten vorbei in den Trakt, der die Dozentenbüros beherbergte. Der Sicherheitsmann, der den Zugang bewachte, blickte nicht einmal von seiner Zeitung auf. Ich schüttelte den Kopf, wenn ich an all die Gefahren dachte, die ihm vielleicht entgingen, war ihm aber gleichzeitig dankbar dafür, dass er mich ignorierte. Beim letzten Mal war ich einfach Adele hinterhergegangen, während ich mich jetzt an einem kleinen Schild orientierte, das die Richtung zu den jeweiligen Büros wies. Schließlich fand ich mich auf dem Flur wieder, von dem Adeles Büro abzweigte.
    Jedes Büro hatte eine alte Eichentür, an der auf einer Milchglastafel in schwarzen Buchstaben der Name des jeweiligen Professors vermerkt war. Neben Adeles Büro lag das von Professor David Stiller, genau wie sie gesagt hatte. Seine Tür stand einen Spalt offen, und nachdem ich sie zaghaft weiter aufgestoßen hatte, sah ich, dass sein Büro leer war.
    Es war ein geräumiges Zimmer mit großen Fenstern, die auf den Hof hinausgingen. Am Fenster stand ein riesiger Eichenschreibtisch, und die gegenüberliegende Wand wurde ganz von einem vollgestopften Bücherregal eingenommen. Ich strich mit dem Finger über die Bände, bei denen es sich hauptsächlich um psychologische Fachliteratur über obskure Themen handelte sowie um ein paar statistische Standardwerke, die ich aus meinem eigenen Studium kannte.
    Dann blieb mein Blick an einem niedrigen Regal hinter dem Schreibtisch hängen. Die Bücher dort sahen anders aus, nicht nach Fachliteratur. Ich beugte mich über den Schreibtisch, um sie besser sehen zu können, und überflog eilig die Titel. Die Hundertzwanzig Tage von Sodom, Juliette, Die Geschichte des Auges, Nietzsche und der Teufelskreis. Das war eindeutig Tracys Fachgebiet.
    Gerade als ich mein Notizbuch hervorgezogen hatte und mir die Buchtitel notieren wollte, um Tracy danach zu fragen, ging hinter mir die Tür auf.
    »Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine tiefe Stimme.
    Ich zuckte zusammen, ließ vor Schreck meinen Kugelschreiber fallen und sah ihn unter den schweren Schreibtisch rollen. Kleinlaut drehte ich mich zu David Stiller um. Er war groß und gutaussehend, hatte braune Haare und Augen, die so schwarz waren, dass man die Iris nicht von den Pupillen unterscheiden konnte, was eine ziemlich beunruhigende Wirkung hatte.
    Er sah mich fragend an und erwartete eine Erklärung. Sein plötzliches Auftauchen hatte mich vollkommen aus dem Konzept gebracht, und ich hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich ließ mich auf alle viere nieder und streckte unbeholfen die Hand nach meinem Stift unter dem Schreibtisch aus, während ich über die Schulter zu David Stiller zurückblickte.
    »Hallo«, murmelte ich. »Ich bin Caroline Morrow und wollte Sie fragen, ob Sie Zeit für ein Gespräch hätten. Es geht um eine Dissertation.« Ich kam leichter an meinen Stift als gedacht und schnippte ihn näher an die Wand, um Zeit zu gewinnen.
    »Warten Sie«, erbot er sich, und wenn ich mich nicht täuschte, klang er leicht verärgert. »Sie erlauben doch?« Er ging um den Schreibtisch herum, hob den Stift elegant vom Boden auf und reichte ihn mir mit einer einzigen, fließenden Handbewegung.
    »Also, was sagten Sie gerade?«, drängte er mich zur Eile.
    »Ach ja, entschuldigen Sie bitte.« Ich strich mir das T-Shirt glatt und dann die Haare aus dem Gesicht, um wenigstens ansatzweise die Fassung zurückzugewinnen. »Ich bin Caroline Morrow.« Keiner von uns beiden streckte die Hand aus. »Fachbereich Soziologie.« Ich zeigte hinter mich zum entgegengesetzten Ende des Campus, als wüsste er nicht, wo das Soziologiegebäude war. »Ich schreibe meine Dissertation über Jack Derber und weiß, dass Sie zur Zeit seiner Verhaftung hier als Juniorprofessor

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