Danach
für Personen entwickeln, die besonders ›opferanfällig‹ sind, um den Fachausdruck zu verwenden.«
Ich hörte sie weiterdozieren und sah, wie ihre Lippen sich vor meinen Augen bewegten, aber mein Verstand verarbeitete nicht mehr, was sie sagte. Der Begriff »opferanfällig« hallte in meinem Kopf wider, und mir stieg vor Wut das Blut in den Kopf, was Adele bestimmt nicht entging. Obwohl ich zutiefst erschüttert war und sich mein ganzer Körper gegen sie sträubte, versuchte ich, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten.
Damit vergeuden sie also Zeit und Forschungsgelder an den großen Universitäten, dachte ich. Sie sitzen da und versuchen herauszufinden, ob man unbewusst etwas getan hat, das Unheil und Verhängnis heraufbeschwört. Natürlich geben sie einem nicht die Schuld, nicht doch, aber wie konnte man nur so unvorsichtig sein zuzulassen, dass alles Böse dieser Welt über einen hereinbricht?
Adele hatte keine Ahnung, wie weit sie von der Realität entfernt war. Ihr war nicht klar, welche Anstrengungen Jennifer und ich unternommen hatten, um uns vor jedem erdenklichen Angriff zu schützen, um uns unverwundbar zu machen. Und es war trotzdem passiert.
Ungeachtet meiner Wut kam mir plötzlich der Gedanke, dass Adele mir genauso nützlich sein konnte wie ich ihr. Wusste sie am Ende vielleicht doch mehr, als sie zugab?
Sie hatte bei Jack Derber studiert, hatte zwei Jahre lang an seiner Seite gearbeitet. Dass sie seine Vergangenheit in der BDSM-Szene vor dem FBI verheimlicht hatte, hatte sie mir bereits gestanden. Gut möglich, dass sie noch viel dunklere Geheimnisse kannte. Vielleicht war sie bis zum heutigen Tag Jacks Komplizin und hatte sich deshalb nicht von seinen Taten aus der Fassung bringen lassen, nachdem er verhaftet worden war. Allein beim Gedanken daran, dass all das Leid, das er über uns gebracht hatte, für sie vielleicht gar keine Überraschung gewesen war, drehte sich mir der Magen um.
»Ich werde drüber nachdenken«, murmelte ich schließlich.
»Melden Sie sich einfach, sobald Sie sich entschieden haben.« Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche und kritzelte etwas auf die Rückseite. »So, jetzt haben Sie alle meine Telefonnummern. Sie können mir auch eine SMS schreiben. Einfach Bescheid sagen, ich kann Sie jederzeit dazwischenschieben, wenn Sie ein bisschen Zeit zur Verfügung haben. Wie lange sind Sie überhaupt in der Stadt?«
»Das weiß ich nicht genau. Ich möchte noch mit ein paar anderen Personen sprechen, die Jack gekannt haben. Wie ich gehört habe, soll er mit einem Kollegen befreundet gewesen sein. Professor Stiller, kennen Sie ihn?«
Bei der Erwähnung dieses Namens zuckte Adele kaum merklich zusammen, hatte sich aber rasch wieder unter Kontrolle. »Ja, David Stiller. Der arbeitet auch hier.«
»Sie meinen hier an der psychologischen Fakultät?«
»Ja. Sein Büro liegt sogar direkt neben meinem.« Über diesen Umstand schien sie nicht gerade erfreut zu sein.
»Kein Freund von Ihnen?«
Sie lachte. »Nein, eher ein Konkurrent, würde ich sagen. Wir waren vor langer Zeit einmal befreundet, aber inzwischen ähneln sich unsere Forschungsgebiete ein wenig zu sehr, während unsere Schlussfolgerungen nicht weiter auseinanderliegen könnten. Ich habe den Eindruck, dass die Universität unsere Rivalität sogar noch unterstützt, weil wir dadurch die Stars auf jedem Forschungskongress sind. Man steckt uns gerne zusammen in Ausschüsse, um uns beim Streiten zu beobachten. Da sehen Sie, wie es in der akademischen Welt zugeht. Ich würde jedenfalls an Ihrer Stelle nicht erwähnen, dass Sie schon mit mir gesprochen haben.«
»Danke für den Tipp. Ich gehe jetzt lieber wieder, bevor wir die anderen Bibliotheksbesucher zu sehr stören, und überlasse Sie Ihrer Arbeit.« Zum Abschied hielt ich noch einmal ihre Visitenkarte hoch. »Und ich verspreche, darüber nachzudenken.«
Sie lächelte und streckte mir die Hand entgegen, als hätten wir gerade einen Pakt miteinander geschlossen. Verkrampft starrte ich auf ihre Hand, die vor mir in der Luft schwebte, und suchte fieberhaft nach einer Ausrede.
»Warten Sie, ich gebe Ihnen besser auch meine Kontaktdaten, damit Sie mich erreichen können.« Ich griff in meine Tasche und zog ein Stück Papier hervor. Nachdem ich meine Handynummer darauf notiert hatte, gab ich ihr den Zettel, wobei ich darauf achtete, dass sich unsere Finger nicht berührten.
Auf dem Weg zur Tür drehte ich mich noch einmal zu ihr um. Sie saß vollkommen
Weitere Kostenlose Bücher