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Danach

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Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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waren auch der Boden, sämtliche Tische und ein paar Stühle mit Büchern bedeckt, von denen einige aufgeklappt herumlagen. In anderen steckten angenagte Bleistifte mit abgebrochenen Minen.
    Am hinteren Ende des Raums befand sich eine Empore, auf der Tracy offenbar schlief. Ich konnte den vorderen Teil ihres ungemachten Betts sehen, die schwarze Bettdecke hing über den Rand. Ich musste Tracy beim Arbeiten gestört haben, denn auf einem Schreibtisch in der Ecke stand ihr angeschalteter Laptop, und im Umkreis waren überall Blätter verstreut, offenbar der erste Entwurf eines Manuskripts.
    »Jetzt weißt du, warum mich deine Wohnung so befremdet hat. Setz dich doch«, sagte sie.
    Sie wies auf einen Stuhl neben ihrem Schreibtisch, auf dem ein gefährlich schiefer Bücherstapel thronte. Mit einem Schritt war sie dort, hob den ganzen Stapel hoch und warf ihn auf ihr Plüschsofa, wo die Bücher über das Polster rutschten und teilweise auf dem Boden landeten, was Tracy nicht zu bemerken schien. Sie bot mir ungerührt erneut den Stuhl an.
    Ich setzte mich und stürzte mich in einen Bericht über meine Aktivitäten in Oregon. Ich war nervös, weil ich Tracy die Geschichte so schmackhaft wie möglich machen wollte. Bei Jim war ich bereits gescheitert, sein Interesse hatte ich nicht wecken können. Es erschien mir plötzlich als wichtigste Aufgabe meines Lebens, Tracy für meine Suche zu gewinnen, weil ich keine Ahnung hatte, ob ich allein in der Lage war weiterzumachen. Wenn sie meine Entdeckungen ebenfalls als unbedeutend abtat, verließ mich vielleicht der nötige Mut, um den Plan umzusetzen, den ich im Flugzeug ausgeheckt hatte.
    Tracy hörte mir schweigend zu und hob überrascht die Augenbrauen, als ich ihr von meinem Besuch im SM-Club erzählte. Bei meiner Schilderung, wie ich dem weißen Kleinbus zur Lagerhalle gefolgt war, weiteten sich ihre Augen, und ihr blieb der Mund offen stehen. Mir war nicht ganz klar, ob ihr Staunen dem galt, was ich gesehen hatte, oder dem, was ich getan hatte. Vermutlich Letzterem. Am Schluss erzählte ich ihr noch von den Büchern in David Stillers Büro. Sie winkte ab.
    »Das lesen alle, die im Bildungswesen etwas auf sich halten. Ein absolutes Muss. Foucault hat das akademische Arbeiten für immer verändert, er hat völlig neue Perspektiven eröffnet. Auch in meiner Bibliothek ist ihm ein ganzer Teilbereich gewidmet. Ich war einfach zu lange an der Uni, das hat Spuren hinterlassen.«
    Sie wies auf ein Regal in der Mitte, und ich ging hinüber, um die Buchrücken zu lesen.
    »Bataille steht übrigens auch dort«, erklärte sie. »Er schreibt über Sex und den Tod, etwas anderes interessiert die meisten Akademiker nicht. Ach, eigentlich trifft das auf alle Menschen zu.«
    »Aber weist der Inhalt dieser Bücher nicht direkte Parallelen zu den schrecklichen Dingen auf, die Jack uns angetan hat?«
    »Er hat diese Denker sicher als Rechtfertigung benutzt, wie so viele andere Männer, die den Wunsch haben, Frauen zu unterwerfen, ihrem Sadismus aber einen intellektuellen Anstrich geben wollen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er Gefallen an der Vorstellung von ›Grenzerfahrungen‹ und einem Leben außerhalb der gesellschaftlichen Regeln und Normen fand. Foucault, Nietzsche, die ganze Bande: sie alle liefern den perfekten Vorwand für gewalttätiges Verhalten.«
    Während Tracy redete, durchstöberte ich ihre Bibliothek und fand ein ganzes Regalbrett mit Batailles Werken. Ihre Sammlung war sogar noch umfangreicher als die von Stiller. Ich zog einige Bücher heraus und erstarrte, als ich eins mit dem Titel Die Schriften Batailles entdeckte.
    Ich traute meinen Augen nicht. Dort auf dem Titel, auf weißem, schwarz umrandetem Hintergrund, prangte die Zeichnung eines kopflosen Mannes. In der einen Hand hielt er etwas, das wie ein flammendes Herz aussah, in der anderen einen kurzen Dolch. Auf Höhe seines Schritts war ein Totenkopf zu sehen, und seine Brustwarzen waren kleine Sterne. Ich brachte das Buch mit zitternden Händen zu Tracy.
    »Tracy, sieht das nicht aus wie … Ist das nicht …«
    Sie sah mich fragend an. Es war offensichtlich, dass die Zeichnung keine Assoziationen in ihr wachrief.
    Endlich kam mir das Wort über die Lippen: »Das Brandzeichen. Sieht das nicht aus wie unser Brandzeichen?«
    Ich zog meine Jeans und meinen Slip seitlich so weit hinunter, dass sie das Brandzeichen auf meiner Hüfte sehen konnte. Sie blickte erst auf den Buchdeckel und dann auf mein vernarbtes Fleisch.

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