Danach
wir wieder einen klaren Gedanken fassen konnten.
24
Zwei Tage später stiegen Tracy und ich gemeinsam in Portland aus dem Flugzeug. Ich fühlte mich inzwischen wie eine routinierte Vielfliegerin. Keine Panikattacken mehr. Ich hatte mir einen kleinen Rollkoffer zugelegt, den ich nicht aufgab, sondern als Handgepäck mit an Bord nahm. Quer über der Brust trug ich eine kleinere Tasche, in deren Innenreißverschluss ich meine Wertsachen aufbewahrte. Jede halbe Stunde kontrollierte ich, ob noch alles da war. Zumindest mein Eigentum war in Sicherheit.
Tracy und ich hatten seit New Orleans kaum ein Wort miteinander gewechselt. Mir war nicht ganz klar, warum. Vielleicht schämte sie sich für das, was sie mir erzählt hatte, und bereute es, mich eingeweiht zu haben. Vielleicht hatte sie aber auch eine stärkere Reaktion von mir erwartet, Verständnis oder Mitgefühl, Empfindungen, die zu zeigen ich nicht imstande war. Oder sie konnte genau wie ich noch immer nicht Vergangenheit und Gegenwart auseinanderhalten, auch wenn sie das Gegenteil behauptete.
Ich redete mir ein, dass ich nicht scharf darauf war, wieder eine Beziehung zu Tracy aufzubauen. Aber noch während ich es dachte, wusste ich, dass es nicht stimmte. Ich konnte und wollte nicht länger in meiner isolierten Blase bleiben.
Es war immer noch irgendwie surreal, mit ihr zusammen durch die Weltgeschichte zu reisen, ohne Kellerwände, die uns eingrenzten. Und doch waren wir beide wieder hier in Oregon. Noch vor kurzem hätte es keine von uns für möglich gehalten, freiwillig in diesen Bundesstaat zurückzukehren.
Ich zog mein Handy hervor, um mich von meinen Grübeleien abzulenken, und sah, dass ich erneut eine SMS von Dr. Simmons erhalten hatte. Der geschäftige Flughafen war genauso geeignet wie jeder andere Ort, um sie zurückzurufen. Sie meldete sich sofort.
»Sarah? Wo sind Sie?«
»Im Urlaub.«
»Sarah, ich habe mit Jim gesprochen. Wo sind Sie? Ist alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut. Hören Sie, Sie haben mir wirklich sehr geholfen, aber jetzt muss ich ein paar Dinge alleine klären. Darüber können wir uns später unterhalten, ausführlich und bis ins kleinste Detail.«
»Keine Sorge, das verstehe ich durchaus. Ich wollte Ihnen auch nur sagen, dass Sie nicht alles alleine schultern müssen. Sie tragen nicht für alles die Verantwortung, denken Sie bitte daran.«
Ich blieb so abrupt stehen, dass die Räder meines Koffers über den glatten Flughafenboden schlitterten. Dr. Simmons schaffte es immer wieder, einen empfindlichen Nerv bei mir zu treffen.
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich.
»Genau so, wie ich es sage. Ich weiß, dass Sie sich selbst stark unter Druck setzen, aber in diesem Fall gibt es mehrere Schultern, auf die sich die Last verteilt. Wir alle wollen, dass Jack Derber hinter Gittern bleibt. Sie müssen nicht alles alleine auf sich nehmen.«
»Das ist mir vollkommen klar«, antwortete ich ein wenig zu schnell.
»Dann ist ja gut. Mehr wollte ich auch gar nicht sagen. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise. Rufen Sie mich an, wenn Sie zurück sind. Oder vorher, wenn Sie mich brauchen.«
Ich beendete das Gespräch und starrte auf die Leuchtreklame eines Grillrestaurants. Dr. Simmons hatte recht. Ich musste nicht die ganze Last alleine tragen. Natürlich war ich nicht für den Schmerz sämtlicher beteiligter Personen verantwortlich, aber das war auch nicht der eigentliche Grund meiner Reise. Es war Jennifer, der ich mich verpflichtet fühlte. Ich war es ihr schuldig, alles zu tun, was in meiner Macht stand.
Meine Gedanken wanderten zurück zu unserer Entführung, wie so oft. Wenn ich sie doch bloß nicht überredet hätte, an jenem Abend auf die Party zu gehen! Sie hatte eigentlich für eine Prüfung lernen müssen, aber ich hatte sie gedrängt mitzukommen. Ich sah immer noch ihr Gesicht vor mir, wie sie erst gezögert und dann mir zuliebe eingewilligt hatte. Wenn ich sie doch bloß in Ruhe gelassen hätte! Wo wären wir dann jetzt?
Da, ich tue es schon wieder , ermahnte ich mich und schüttelte den Kopf, um Ordnung in meine Gedanken zu bringen.
Tracy warf mir aus dem Augenwinkel einen fragenden Blick zu, während sie in Richtung Ausgang marschierte. »Dr. Simmons?«
»Ja.«
»Ich verstehe nicht, warum du dich immer noch mit ihr triffst. Sie ist quasi ein Instrument der Regierung.«
»Du meinst, weil sie so eng mit Jim zusammenarbeitet?«
»Ich meine, weil sie immer noch vom Bundesstaat Oregon bezahlt wird, oder etwa nicht?
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