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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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natürlich unsere Gottesdienste ab. Hier wird mehrmals die Woche gepredigt, nicht wahr, Jungs?«
    Seine beiden Begleiter brachen wieder in heiseres Gelächter aus, und der Mann, der mich hielt, lockerte seinen Griff ein wenig. Ich blickte zur Tür und sah, dass sie immer noch offen stand. Dahinter hob sich der weiße Kleinbus deutlich vom dunklen Nachthimmel ab. Der Motor lief, aber ich konnte niemanden in der Nähe entdecken. Eine vage Hoffnung keimte in mir auf.
    Ich schielte zu Tracy hinüber, um herauszufinden, ob sie die Chance ebenfalls erkannt hatte. Aber ihre Augen starrten glasig ins Leere, und sie wollte oder konnte meinen Blick nicht erwidern. Wenn ich wirklich flüchten wollte, musste ich sie also erneut zurücklassen. Ich zögerte eine Sekunde, und diese Sekunde war entscheidend, wie sich herausstellte, denn bevor ich reagieren konnte, nickte Noah in Richtung Tür, und die Männer packten uns wieder fester und zogen uns nach draußen.
    Ich trat verzweifelt um mich und brüllte so laut ich konnte. Mein heftiger Ausbruch schien Tracy endlich aus ihrer Schockstarre zu reißen, denn sie fing ebenfalls an zu schreien. Sämtliche Warnungen, die ich als Kind gehört hatte, und sämtliche Erfahrungen, die ich seither gemacht hatte – die verhängnisvollste eingeschlossen –, hatten mich gelehrt, auf keinen Fall zuzulassen, dass man mich in diesen Bus sperrte. Dann war alles verloren. Steig niemals in ein fremdes Auto. Diese Lektion hatte ich auf die harte Tour gelernt.
    Ich nahm meine letzte Kraft zusammen, aber mein Aufpasser drückte mir die Arme so fest zusammen, dass ich glaubte, er würde mir das Fleisch vom Knochen ziehen. Es brannte schrecklich, aber der Schmerz spornte mich nur dazu an, mich noch heftiger zu wehren. Ich warf mich zur Seite, ließ mich hängen, machte mich steif, kämpfte mit aller Macht. Aber Noah beschäftigte diese Kerle nicht wegen ihrer geistreichen Art, sondern wegen ihrer Muskeln. Wir hatten nicht die geringste Chance.

29
    Bevor wir noch ganz verstanden hatten, was mit uns geschah, rissen die Männer die Heckklappen des Kleinbusses auf. Aus dem Inneren starrten uns sieben oder acht Mädchen entgegen, die alle jünger waren als wir und identische weiße Gewänder trugen, mit traurigen Augen und abgehärmten Gesichtern, emotionslos, ohne jede Überraschung. Wir wurden kurzerhand in den Bus geschleudert und landeten auf einigen der Mädchen, die nicht einmal zuckten. Sie schienen unsere Anwesenheit kaum wahrzunehmen. Neuankömmlinge waren offensichtlich nichts Besonderes.
    Ich rappelte mich gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie die Türen zugeknallt wurden. Dann klappten auch Fahrer- und Beifahrertür zu, und der Motor heulte auf. Da uns eine massive Metallwand von der Fahrerkabine trennte, konnten wir die Männer nicht sehen. Entlang der Seitenwände des Busses verliefen schmale rechteckige Fenster. Ich konnte es in der Dunkelheit zwar nicht erkennen, vermutete aber, dass die Scheiben schwarz getönt waren. Wir saßen in Noah Philbens Gemeindebus.
    Tracy und ich bemühten uns, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und wankten in der Mitte des Busses nach vorne, wo aufklappbare Sitze angebracht waren. Mir fiel auf, dass keines der Mädchen die vorhandenen Sicherheitsgurte angelegt hatte. Nachdem wir nebeneinander Platz genommen hatten, zog ich meinen Gurt um mich und befestigte ihn. Tracy hob sarkastisch die Augenbrauen, schnallte sich dann aber ebenfalls an. Bei einem Autounfall umzukommen war ganz sicher nicht die Lösung, auch wenn die anderen Mädchen einen Unfalltod offenbar für ein weit besseres Schicksal hielten als alles, was sie sonst zu erwarten hatten.
    Es war dunkel im Bus, aber an der Decke brannte ein einzelnes kleines Licht, so dass ich die Gesichter der Mädchen neben uns gut erkennen konnte. Von nahem wirkten sie noch jünger. Einige waren hübsch oder waren es zumindest gewesen, bevor man jedes Leben aus ihnen getilgt hatte. Andere waren weniger hübsch, aber alle wirkten halb verhungert, genau wie wir damals im Keller.
    Ich erkannte die leeren Mienen wieder, die nach innen gewandten Gesichter, die an einem kleinen, sicheren Ort in ihren Gedanken Zuflucht suchten. Dem einzigen Ort tief in ihrem Inneren, den niemand berühren konnte, den selbst die körperlichen Schmerzen nicht erreichten. Ich kannte diesen Ort gut. Ich lebte dort seit dreizehn Jahren.
    Das Mädchen, das uns direkt gegenüber saß, trug einen Kurzhaarschnitt, der ebenso wie sie selbst

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