Dance of Shadows
man mit diesem Zeug anstellen kann. Sag niemandem ein Wort davon! Und beeil Dich!
Vanessa holte tief Luft; endlich verstand sie Ellys Nachricht.
»Elly hat Bescheid gewusst«, sagte sie aufgeregt, als sie wieder in Steffies Zimmer trat. Sie hielt den Zettel in die Höhe. »Erinnerst du dich daran? Nachdem Elly während der Probe aufgekreischt hat, wurde sie in Josefs Büro geschickt. Dort muss sie genau dasselbe gesehen haben wie wir vorhin.«
»Und eine seltsame Unterhaltung zwischen Josef und Hilda mitgehört haben«, ergänzte Steffie und las Ellys Nachricht noch einmal. Dann legte sie den Zettel ordentlich auf ihren Schreibtisch und nahm Vanessa das Stück Kolophonium aus der Hand. Sie rieb so lange über ihre Handfläche, bis sie mit einer dicken Schicht des klebrigen Harzes bedeckt war. »Jetzt werden wir es gleich auch wissen.« Steffie deutete auf ihren Nachttisch, auf dem sie schon eine Kerze angezündet hatte. Vanessa streckte ihr die Kerze hin, und Steffie hielt vorsichtig die Hand über die Flamme. Sofort entzündete sich das Harz, und von Steffies Handfläche loderten hellrote Flammen auf.
»Tut das nicht weh?«, fragte Vanessa entsetzt und sprang einen Schritt zurück, doch Steffie schüttelte den Kopf.
»Es fühlt sich nur heiß an«, sagte sie und ließ ihre Finger nicht aus den Augen. »Wie Badewasser, das ein paar Grad kühler sein könnte.«
Im Schein der Flammen schien das Buch zum Leben zu erwachen. Auf dem Papier wurden Buchstaben sichtbar, und Zeichnungen erschienen wie aus dem Nichts.
»Das ist ja wunderschön«, murmelte Steffie ehrfurchtsvoll.
Vanessa sah gebannt, wie das Buch zum Leben erwachte. Die Tinte bildete Buchstaben, und diese fügten sich auf dem Papier zu Wörtern und Sätzen zusammen. Doch irgendetwas ließ sie stutzen. Sieneigte den Kopf und versuchte einzelne Wörter zu entziffern, doch es gelang ihr nicht.
»Das ist ja alles auf Russisch!«, rief sie enttäuscht.
Steffie wedelte mit ihrer brennenden Hand in der Luft herum und beleuchtete das Papier von allen Seiten, als würde sich dadurch etwas ändern. »Ich hab gar nicht gewusst, dass Justin Russisch kann«, sagte sie.
Auch für Vanessa war das neu. »Na großartig«, sagte sie entmutigt. »Fällt dir irgendjemand ein, der das lesen kann?«
Aber Steffie gab keine Antwort. »Das ist jetzt ganz egal«, sagte sie und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. »Schau mal auf die Wände.«
Vanessa folgte ihrem Blick. Im Licht des brennenden Kolophoniums erschienen auf den Wänden Wörter in einer ungelenken Kritzelschrift, die Vanessa so gut kannte, als wäre es ihre eigene. Fast reflexartig packte sie Steffies Arm und geleitete ihre brennende Hand nach oben, damit sie auch die Decke, die Wände und die Tür beleuchtete. Überall um sie herum waren Wörter zu sehen, sie drängten sich in den Ecken und wanden sich um die Türklinke.
»Was ist denn das?«, flüsterte Steffie.
Vanessa erschauerte, als sie die Wärme des Feuers auf ihrer Haut spürte, als sei es der Atem ihrer Schwester. Fast ehrfurchtsvoll flüsterte sie Steffie ins Ohr: »Margarets geheimes Tagebuch.«
Kapitel dreiundzwanzig
Sie hatten keine Ahnung, wo sie anfangen sollten zu lesen, aber zu Vanessas Überraschung hatte Margaret das vorhergesehen.
»Da«, sagte Vanessa und zeigte auf eine Zeile über Steffies Bett, das einmal Margarets gewesen war. Der Text wurde von einem Poster überdeckt, und Vanessa riss es rasch von der Wand.
Es gibt keinen Anfang. Und wenn es einen gibt, so weiß ich nichts darüber. Ob ich an schwarze Magie glaube? An andere Welten? An Dämonen? Ich habe nie daran geglaubt, aber jetzt, wo ich hier bin, muss ich annehmen, dass ich mich geirrt habe, dass ich hier gefangen bin, dass ich niemals entkommen werde. Ich habe gedacht, ich wüsste, was Tanzen bedeutet, aber ich wusste gar nichts.
Jetzt weiß ich mehr. Alles wegen Josef, dem Nekrotänzer, der mir Anweisungen gibt. Josef ist aber nur einer von ihnen. Vor ihm hat es viele andere gegeben. Ich habe das in den Büchern nachgelesen, in den geheimen Büchern. Falls er versagt, werden nach ihm andere kommen. Und falls ich versage, dann versagt auch er. Die blauen Flecken, die er mir zugefügt hat, sind überall, auf den Innenseiten meiner Arme, auf den Schenkeln, Hüften und Rippen. Zuerst war es nur der Stock, mit dem er immer den Takt klopft. Wenn ich rauskam, korrigierte er mich damit, und wenn ich nicht richtig tanzte, dann stieß er mich damit zurück in die richtige
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