Dance of Shadows
gleichzeitig durch sie hindurch, als ob er von etwas abgelenkt wäre. Aber bevor sie sich zu ihm durchdrängen konnte, hatten ihre Freunde, die über die Schule plauderten, sie schon in ein Gespräch verwickelt. Als sie sich schließlich von ihnen losgeeist und quer durch den Speisesaal gekämpft hatte, war er fort. Das Einzige, was er hinterließ, war ein Summen in ihrer Tasche. Sie nahm ihr Handy heraus und sah eine Nachricht von ihm.
Tut mir leid, dass ich so distanziert war. Viel los zurzeit. Hat nichts mit Dir zu tun.
Verwirrt las sie die SMS noch einmal. Warum hatte er ihr das nicht persönlich gesagt?
Bei den Proben wurde seine Abwesenheit am deutlichsten spürbar.
»Ich fürchte, Zeppelin ist krank«, sagte Josef am zweiten Tag. Er wandte sich an Justin, der sich an der Stange aufwärmte. »Du kannst doch den Part des Prinzen?«
Krank? Vanessa runzelte die Stirn. Warum hatte er ihr das nicht gesagt?
Justin wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Klar, den kann ich auswendig«, sagte er und schaute zu Vanessa hinüber.
»Also dann, erster Akt!«, sagte Josef und klatschte in die Hände.
Vanessa nahm ihre Position ein und versuchte Justins Blick auszuweichen. Josef zählte an, und sie begannen zu tanzen. Vanessa merkte bestürzt, dass Justin wirklich gut war. Seine Bewegungen erweckten den Prinzen vor ihren Augen zum Leben, als wäre er durch einegrausame Wendung des Schicksals immer schon dazu bestimmt gewesen, Zep zu ersetzen.
Nachdem drei Tage ohne eine Nachricht von Zep vergangen waren, begann sich Vanessa ernsthaft Sorgen zu machen. Sie ging jeden Abend bei ihm vorbei, um nach ihm zu sehen. Weil er auf ihr Klopfen nie antwortete, schrieb sie ihm eine SMS und fragte, wie es ihm ging, aber es kam keine Antwort. War er wirklich krank? Oder ging er ihr nur aus dem Weg? Vielleicht hatte er etwas Ansteckendes. Vielleicht konnte er nicht mehr laufen. Vielleicht war er im Krankenhaus.
Diese Gedanken quälten sie während der morgendlichen Probe, bei der die gesamte Besetzung anwesend war – mit Ausnahme von Zep.
Um neun Uhr machte Josef die Tür zu und klatschte in die Hände. Justin wärmte sich mit den anderen Zweitbesetzungen an der Stange auf. Als er merkte, dass Zep auch an diesem Tag nicht da war, kam er hinüber und machte sich bereit, wieder den Part des Prinzen zu übernehmen. Doch Josef hob die Hand.
»Zeppelin wird auch heute nicht hier sein können, aber statt die üblichen Szenen aus dem
Feuervogel
zu proben, möchte ich heute am
Danse du Feu
arbeiten.«
Ein paar Tänzer stöhnten, waren aber schnell ruhig, als Josef drohend die Augen zusammenkniff. »Ich weiß, dass wir normalerweise in den Nachmittagsproben daran arbeiten, aber für diese Szene muss man um einiges mehr proben als für die anderen.«
Vanessa seufzte innerlich tief auf. Allein der Gedanke daran, zwei Mal an einem Tag an diesem merkwürdigen Tanz zu arbeiten, erschöpfte sie schon.
»Nach der Hälfte der Szene«, fuhr Josef fort, »verlässt der Prinz die Bühne, und das Finale konzentriert sich auf Vanessa, den Feuervogel.« Er ließ seinen Blick auf ihr ruhen. »Und auf die dreizehnPrinzessinnen um sie herum.« Er wandte sich an Justin. »Wir werden dich heute nicht brauchen, weil wir uns der zweiten Hälfte des Tanzes widmen. Wenn du einfach nur zuschauen könntest, wäre das
excellent
.«
Justin blieb starr stehen, und sein Gesicht verriet eine leichte Verlegenheit, ehe er sich hinsetzte. Er vermied es, Vanessas Blick zu begegnen, während Josef Vanessa und die dreizehn Prinzessinnen auf ihre Plätze dirigierte. Vanessa behielt die Tür im Blick, als Josef den Takt vorgab. Sie hatte die Schritte der Schlussszene jetzt im Kopf, und ihr Körper bewegte sich automatisch und setzte jeden Schritt perfekt. Ein Lächeln glitt über Josefs Gesicht. »Ja«, rief er. »Jawohl!«
Als der Tanz zu Ende war, senkte sie das Bein. Sie trat wortwörtlich aus der Rolle heraus, und ihre Brust hob und senkte sich von der Anstrengung. Josef applaudierte. »Eindrucksvoll«, sagte er und ließ den Blick über Vanessas schweißbedeckten Körper gleiten. »Wirklich eindrucksvoll!«
Anna verdrehte die Augen und ging in eine Ecke des Raums. »Einfach nur Glück!«, flüsterte sie, als sie an Vanessa vorbeiging. Die anderen zwölf Prinzessinnen folgten ihr.
Vanessa war zu überrascht, um etwas Scharfes zu erwidern, und so stand sie mitten im Übungsraum da und kam sich dumm vor. Die Worte von Anna bewirkten, dass ihr Stolz über den
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