Dance of Shadows
Übung macht den Meister.
Erst einer Schülerin aus der Anfängerklasse ist es bisher gelungen, uns auf Anhieb in Bann zu ziehen. Sie bekam schon im ersten Jahr die Hauptrolle, denn sie tanzte einfach großartig, fast überirdisch.« Josef schloss die Augen und ließ ihre Erscheinung offenbar im Geiste wiedererstehen. »Leider konnte sie dem Druck nicht standhalten und hat die Schule abgebrochen. Ihr Traum war zerstört.« Josefs Blick wanderte durch den Saal. »Lasst es nicht so weit kommen.«
Margaret.
Vanessa wandte sich um und erwartete, dass alle Blicke auf sie gerichtet waren, aber niemand der Anwesenden schien zu wissen, worauf Josef anspielte. Niemand – außer Steffie, die Vanessa neugierig ansah.
Verlegen umschlang Vanessa ihre Knie und nahm sich fest vor, künftig nicht mehr so auffällig zu reagieren, sollte sie wieder einmal Josefs Blick auf sich spüren. Vielleicht hatte sie es sich ja auch nur eingebildet.
»Harte Arbeit und Geduld zahlen sich ebenso aus wie Talent. Übrigens – die Rolle des Prinzen Iwan ist bereits vergeben.« Josefs Blick schweifte suchend umher. »Zeppelin Gray, würdest du bitte mal aufstehen?«
Vanessa sah zuerst sein Spiegelbild; seine ausdrucksvollen Augen glänzten wie dunkles Metall. Er saß bei den Mädchen in der Ecke des Saals. Beim Aufstehen schien er sich zu entfalten, seine Schultern wurden breit, der Rücken lang, bis er schließlich alle überragte. Einen Jungen wie ihn hatte Vanessa noch nie gesehen. Eigentlich war er zu groß für einen Tänzer, zu grobknochig, aber er bewegte sich graziös, und sein schwarzes Haar glänzte im warmen Licht der Deckenlampen.
Zeppelin
, dachte sie; ihr Blick wanderte über seine Arme nach oben, und plötzlich trafen sich ihre Blicke.
Der Ausdruck in seinen Augen war irgendwie verstörend, doch als er den Kopf neigte, schien sich sein Gesicht zu verändern, und seine scharfen Züge wirkten nun irgendwie weicher. Die Sonnenbräune verlieh seinem Körper einen messingfarbenen Glanz, und er sah aus wie eine fein modellierte Skulptur. Vanessa hatte das Gefühl, selbst wenn sie ihn stundenlang betrachtete, würde sie niemals erkennen können, was sich unter der Oberfläche verbarg. Sie erschauerte und musste tief Luft holen, aber sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden.
Und dann lächelte er plötzlich.
»Er sieht toll aus, nicht?«, raunte ihr Steffie zu. »Aber jetzt klapp den Mund wieder zu und starr ihn nicht so an.«
Vanessa spürte, dass sie rot wurde. Sie riss ihren Blick von dem älteren Schüler, der Prinz Iwan spielen sollte, los und wandte sich wieder ihrem Abendessen zu. Sie saßen rund um einen massiven Holztisch im Speisesaal, der im Gebäude neben ihrem Wohnheim lag. Ein riesiger Messingleuchter hing mitten im Raum, der erfüllt war von Stimmengewirr und dem Geklapper von Geschirr und Besteck.
Vanessa stocherte gedankenverloren in ihrem Salat herum und wünschte sich, sie hätte wenigstens Croutons darübergestreut. Einen Speisesaal mit so kargem Essensangebot hatte sie noch nie erlebt: In der Mitte befand sich eine riesige Salatbar, auf einigen einsam im Raum platzierten Teewagen gab es Brot und Pasta und an der Dessert-Theke standen Fruchtsalat und eine Schüssel mit klumpigem Schokoladenpudding. Sein unappetitliches Aussehen, so vermutete Vanessa, war kein Zufall.
Ihr gegenüber saß TJ und gestikulierte lebhaft mit der Gabel in der Hand. Sie schilderte gerade, wie zäh und langweilig sie dieEinführungsveranstaltung gefunden hatte, und ihre Lockenmähne hüpfte dabei auf und ab.
Doch Vanessa hörte ihr kaum zu. Stattdessen spähte sie immer wieder hinüber zu Zeppelin – oder Zep, wie ihn hier anscheinend alle nannten. Er saß am Ecktisch bei jener Gruppe sonnenverbrannter älterer Schülerinnen, die sie bei der Einführungsveranstaltung gesehen hatte. Sie alle waren beängstigend dünn.
»Verguck dich nicht in ihn«, warnte Steffie. »Er ist mit Anna zusammen.«
Vanessa bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Welche ist das?«
»Man kann sie nur schwer auseinanderhalten, nicht?«, spottete Steffie. »Die sind wohl alle total auf Diät. Ziehen sich genau gleich an, essen dasselbe, wahrscheinlich kotzen sie auch dasselbe. Aber am Ende ist doch eine von ihnen die Siegerin.« Neben Zep saß ein hübsches Mädchen mit langen blonden Haaren und einem zarten Puppengesicht; ihre Fingerspitzen berührten immer wieder sein Handgelenk. »Anna Franko. Sie ist die Enkelin von Mimi Franko.«
»Die
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