Dancing Jax - 01 - Auftakt
Finsternis zu tun – die Schatten der Nacht boten vor ihm keine Deckung.
Eins der Betten vibrierte, als sich das Ungetüm schwerfällig vorbeischob. Shauns Panik stieg.
Nein!, schrie es in seinem Kopf. Du kriegst mich nicht! Du nicht!
Ein bösartiges Knurren erschallte und dann, ganz kurz, bewegte sich die Dunkelheit. Ein schwammiger Umriss mit Hörnern erschien. Es war noch abscheulicher und Furcht einflößender, als Shaun es durch den Vorhang erahnt hatte. Diesmal sah er die gewaltigen Reißzähne in dem grimmigen Maul.
Alle Hoffnung auf Entkommen verließ ihn. Shaun wurde klar, dass es nur noch einen Weg in die Freiheit gab. Er atmete tief durch, sammelte sich und fasste einen Entschluss.
»Lieber Gott, rette mich!«, schrie er laut.
Brüllend stürzte Mauger sich auf ihn. Shaun Preston wich zur Seite aus. Er kletterte auf eins der Fensterbretter und warf sich mit aller Wucht gegen die Scheibe. Das Glas zerbarst und Shaun tauchte in die Nacht hinein. Messerscharfe Splitter zerschnitten ihm Hände und Gesicht und drangen in seine Uniform. Heulend schlug er mit Armen und Beinen um sich, während er die drei Stockwerke in die Tiefe stürzte. Die Scherben des zerschlagenen Fensters hüllten ihn in ein glitzerndes Funkeln, den ganzen Weg bis nach unten.
Das grässliche Geräusch seines Aufpralls, gefolgt von Maugers enttäuschtem Grollen, hörte man noch in der Kinderstation.
Etwas überrascht hob der Ismus die Augenbrauen. »Steck die Frucht wieder weg«, teilte er Shiela seufzend mit. »Wir brauchen sie nicht mehr. Shauny kommt nicht wieder.«
»Ach, es ist so schade um Ihre herrliche Erfindung«, jammerte Mr Hankinson betrübt und betrachtete die Einzelteile des Apparates.
»Wie ich schon sagte«, erinnerte ihn der Ismus, »wir brauchen mehr davon. Jetzt pfeift Mauger zurück, bevor hier das große Theater losgeht.«
Damit scheuchte er seine Anhänger aus der in Schutt und Asche liegenden Station und schenkte Schwester Olivant ein letztes Lächeln.
»Gleich morgen früh schicke ich den Jangler los, um für jeden Patienten eine Ausgabe von Dancing Jacks vorbeizubringen«, versprach er. »Die Kleinen haben es sich verdient. Ganz ehrlich.«
»Seid gepriesen!«, dankte ihm Joan strahlend.
17
Am nächsten Morgen stand Paul besonders gut gelaunt und voller Elan auf. Den heutigen Tag konnte ihm nichts und niemand verderben! Nachdem Gerald ihn am Abend zuvor nach der Klavierstunde heimgebracht hatte, hatten sich Martin und seine Mutter mit ihm zusammengesetzt und ihm von ihren Plänen erzählt. Vor Begeisterung war er jauchzend auf dem Sofa herumgehüpft und hatte in die Luft geboxt. Eine größere Freude hätten sie ihm nicht machen können. Seit mehr als einem Jahr wünschte er sich nun schon, dass sie endlich heirateten. Außerdem wollte er schon seit Ewigkeiten einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester, deshalb konnte nichts diesen Tag – oder diese Woche – ruinieren. Noch hatte er keinen Grund, von etwas anderem auszugehen.
Martin, mit dem er zur Schule fuhr, war in einer ganz ähnlichen Stimmung. Nicht einmal der verstörende Anruf, den Carol aus dem Krankenhaus bekommen hatte, konnte seine Ausgelassenheit dämpfen. Anscheinend war ein Pfleger übergeschnappt und hatte die Kinderstation kurz und klein geschlagen, bevor er sich aus dem Fenster stürzte. Glücklicherweise hatte keiner der jungen Patienten mehr als ein paar Schnitte und blaue Flecken davongetragen – und einen gebrochenen Arm hatte es gegeben. Trotzdem war jeder, der Shaun Preston kannte und mit ihm gearbeitet hatte, schockiert.
Das war so ziemlich das Letzte, was man ihm zugetraut hätte, aber man konnte sich nun einmal nie hundertprozentig sicher sein, bei keinem. Schwester Joan Olivant berichtete der Presse bereits, wie unwohl sie sich in seiner Gegenwart immer gefühlt hatte – wie er ihr unzüchtige Blicke zugeworfen und unanständige Avancen gemacht hatte. Weil sie seine Annäherungsversuche zurückgewiesen und obendrein damit gedroht hatte, eine offizielle Beschwerde einzureichen, war er durchgedreht – für sie bestand da kein Zweifel. Im Krankenhaus herrschte heute also ein neuer Presseauflauf.
Als Martin Baxter das Schultor passierte, bemerkte er, dass über Nacht noch mehr Blumenkränze ans Geländer gelegt worden waren. Er fragte sich, wie lange man sie dort wohl liegen lassen müsste. Und was machte man später damit – was war angemessen? Barry Milligan wusste es sicher, was solche Sachen betraf, war er
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