Dancing Jax - 01 - Auftakt
wohl benehmen würden und wie er sich verhalten sollte. Sollte er beleidigt sein und sie abblitzen lassen, wenn sie ihn ansprachen, oder würde es das nur noch schlimmer machen? Waren sie es überhaupt wert, mit ihnen befreundet zu sein, wenn sie sich so doof aufführen konnten?
Doch als er sie an diesem Morgen kurz vor der Anwesenheitsüberprüfung im Klassenzimmer entdeckte, hätten sie gar nicht freundlicher zu ihm sein können – es war schon zu freundlich.
»Gesegneten Tag!«, begrüßten sie ihn und grinsten dabei wie zwei Katzen, die eine Molkerei geerbt hatten.
»Hallo«, sagte Paul zurückhaltend. »Geht’s euch zwei gut?«
Die beiden Jungen strahlten ihn an. Normalerweise verhielten sie sich ganz anders. Für gewöhnlich beklagte sich Anthony über irgendeine eingebildete Krankheit und Graeme war von Natur aus ein bisschen mürrisch. Gerade das mochte Paul an den beiden und er verstand einfach nicht, was die zwei so verändert haben konnte.
»Wir sind in bester Verfassung«, antwortete Anthony. »Eben haben wir unsere Meinungen über den Hof ausgetauscht.«
»Wir möchten sie auch gerne mit dir teilen«, ließ Graeme ihn wissen.
Paul war verwirrt. »Ihr meint nicht den Pausenhof, oder?«
Seine Freunde lachten, schüttelten aber den Kopf. »Es gibt nur einen Hof«, sagte Anthony, griff in seinen Rucksack und zog ein Buch heraus. »Diesen hier.«
»Hey, das hab ich auch!«, rief Paul. »Dieser eine Typ hat es mir geschenkt.«
»Der Ismus hat es dir gegeben?« Sie waren ehrlich beeindruckt. »Welch große Ehre.«
»Wer?«
Die Jungs blinzelten verdutzt. »Hast du es denn noch nicht gelesen? Oder bist du ein Abtrünniger?«
»Was? Nein, ich hatte noch keine Zeit, reinzulesen. Ist es denn gut?«
Seine beiden Freunde tauschten vielsagende Blicke und vermittelten den Eindruck, dass sie in Geheimnisse eingeweiht waren, die er nicht kannte. Paul fand das gar nicht gut.
» Gut ist nicht der richtige Ausdruck«, klärte Anthony ihn auf. »Paul, es ist das Einzige, was zählt. Es ist das Beste …« Ihm fehlten die Worte – nichts schien angemessen, seinen Gefühlen für Dancing Jacks Ausdruck zu verleihen.
Paul rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Jetzt verhielten sich die zwei mehr als komisch.
»Hast du deins dabei?«, fragte Graeme. »Wir könnten gemeinsam lesen. Es ist gut, es zusammen zu lesen – laut, wie mit einer Stimme.« Dabei fing er an, langsam vor- und zurückzuwippen.
»Nein«, antwortete Paul und fühlte sich extrem unwohl. »Ich hab’s zu Hause gelassen.«
»Dann lesen wir dir vor!«, drängte Anthony.
»Ja, wir werden es dir gemeinsam vorlesen«, schloss Graeme sich an. »Dann kannst du die Freude daran mit uns teilen.«
Paul blickte sich im Klassenzimmer um, um zu überprüfen, ob irgendjemand sie bemerkte, aber keiner sah in ihre Richtung.
Die beiden Jungen hielten ihre Bücher hoch und schlugen die erste Seite auf, um ihm vorzulesen.
Genau in diesem Moment klingelte es zur ersten Stunde.
»Glück gehabt«, hauchte Paul, ohne zu ahnen, wie recht er hatte.
In der ersten Stunde hatten sie Geschichte. Zurzeit beschäftigten sie sich mit den mittelalterlichen Königreichen und den Schlössern der Normannen. Dieses Thema begeisterte jedes Kind. An diesem Morgen jedoch gab es zwei, die ganz besonders interessiert waren. Anthony und Graeme, die sich sonst immer zurückhielten, stellten eine Menge seltsamer und unwichtiger Fragen über die Farbe der Mauersteine, die Einrichtung der Zimmer und wie viele Wandbehänge es gegeben hatte. Es war beinahe so, als würden sie ein Normannenschloss mit einem anderen vergleichen, das sie einmal besucht hatten. Und sie fanden, dass die hölzernen Turmhügel, die steinernen Burgfriede und Türme der Normannen in jeder Hinsicht schlechter waren.
Miss Smyth, die kühle blonde Lehrerin, die immer tadellos gebügelte weiße Blusen mit einer kleinen roten oder schwarzen Schleife am Hals trug und in die so ziemlich jeder hinge an der Schule verschossen war, wurde allmählich ungehalten.
»Miss, wissen Sie, wie viele Pferde es in den Ställen gab?«, wollte Graeme wissen. »Und wie viele Hunde und Falken?«
Die anderen Kinder wagten es nicht, über diese neue Frechheit zu kichern. Mit Miss Smyth war nicht gut Kirschen essen. Ja, sie war so schön und wirkte so sanft. Aber man durfte ihr nicht dumm kommen und nur wer wirklich dämlich war, versuchte, sie zu ärgern. Das Verhalten der beiden Jungen war den übrigen Schülern ein Rätsel,
Weitere Kostenlose Bücher