Dancing Jax - 01 - Auftakt
wirklich gut. Trotz seiner einschüchternden Fernseh-Cop-Persönlichkeit konnte er äußerst taktvoll sein, wenn es darauf ankam.
Ein Liedchen vor sich hinpfeifend, das auffallend große Ähnlichkeit mit dem Hochzeitsmarsch hatte, winkte Martin Paul zum Abschied und begab sich auf den Weg zum Lehrerzimmer. Schlagartig verpuffte seine gute Laune, als er seine Kollegen allesamt über den Morgenausgaben der Zeitungen brütend vorfand.
»Das sieht gar nicht gut aus«, bemerkte er. »Was ist denn hier los?« Sie konnten die Geschichte über den Krankenpfleger doch unmöglich schon gedruckt haben, oder?
Mrs Early hob mit spitzen Fingern eine Boulevardzeitung hoch, als hielte sie eine volle Windel. Die ganze Titelseite wurde von der Verlobung des Monats beherrscht, doch Seite sechs und sieben widmeten sich ausführlich dem Schuldirektor im Vollrausch – sturzbetrunkener Direktor der Rowdy-Schule säuft sich unter den Tisch, während Schüler im Sterben liegen. Heimlich geschossene Fotos, die Barry Milligan an den vergangenen Abenden zeigten, pflasterten die Seiten: Wie er in zwei verschiedenen Pubs trank, wie er aus Wein- und Schnapshandlungen kam – ein Bild zeigte ihn sogar durch das Fenster seines Wohnzimmers, auf dem Sofa liegend, ein leeres Glas in der Hand und umgeben von den Überbleibseln seines Saufgelages. Immer wieder wurde er in dem Artikel als Suffdirex bezeichnet.
»Teufel!«, fluchte Martin.
»Der Mann ist eine Zumutung und ein Relikt, ein Dinosaurier«, ereiferte sich Mr Wynn. »Er ist für diesen Beruf nicht geeignet. Ein schönes Beispiel gibt er ab!«
Martin warf die Zeitung angewidert auf den Tisch und starrte den Sportlehrer wütend an. »Was wir alle in unserer Freizeit außerhalb der Schule anstellen, geht keinen etwas an«, stellte er klar.
»Das sagen immer die, die selber etwas zu verbergen haben«, nuschelte Mr Wynn vor sich hin.
»Wie bitte?« Martin platzte der Kragen. »Wenn du etwas zu sagen hast, dann lass es uns doch alle hören!«
Mr Wynn sah ihn abschätzig an. Dann schnaubte er, straffte die Schultern und setzte ein falsches Lächeln auf. Er zog den Reißverschluss seiner Trainingsjacke hoch und stolzierte großspurig aus dem Zimmer. Zu gerne wäre Martin hinterhergerannt, um ihm eine Faust in sein dämliches Orangengesicht zu rammen, doch Mr Wynn hätte ihn zum Dank wahrscheinlich mit einem einzigen Schlag von den Füßen gerissen.
»Hirnloser Muskelprotz«, zischte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Hau doch ab und drück dir die Steroidenpickel auf deinem Rücken aus!«
»Die glücklichsten Tage unseres Lebens«, kommentierte Mrs Early müde.
»Wo steckt Barry überhaupt?«, fragte Martin.
»In seinem Büro«, informierte ihn Mr Roy. »Bestimmt läuft sein Telefon schon heiß. Ich würde ihm lieber nicht zu nahe kommen – in die Enge getriebene Tiere gehen auf alles und jeden los.«
»Das ist doch unfair«, sagte Martin. »Er leistet verdammt gute Arbeit!«
Mrs Early schüttelte den Kopf. »Das zählt rein gar nichts mehr. Plötzlich ist er im ganzen Land verrufen. Keiner interessiert sich mehr dafür, ob er ein guter Direktor ist – man hat ihn bereits vorgeführt und verurteilt. Sein Ruf ist ruiniert. Das wird er nie wieder los. Er wird auf ewig der ›Suffdirex‹ sein. Das wird in seiner Akte vermerkt, und wo er auch hingeht, wird man diese Geschichte wieder hervorzerren und ihm vorwerfen.«
»Sie müssen ihn rausschmeißen«, fügte Mr Roy hinzu.
Martin wusste, dass sie recht hatten, aber es machte ihn krank. Da ertönte der Gong und kündigte die erste Stunde an.
Mrs Early blickte auf die hingeworfene Zeitung. »So groß ist die Macht der Worte«, murmelte die Englischlehrerin vor sich hin. »Sie fügen Schmerz zu, ruinieren Leben und beginnen Kriege. Ein Einziges genügt.« Kopfschüttelnd verließ sie das Lehrerzimmer und dachte darüber nach, dass es bestimmte Worte gab, die auch sie ihren Job kosten konnten, sollte ihr nur eins davon im Unterricht über die Lippen kommen. Die Macht der Sprache darf niemals unterschätzt werden.
Andernorts in der Schule erwies sich Paul Thornburys Hochgefühl als zumindest etwas widerstandsfähiger.
Am Vortag hatten sich seine Freunde ihm gegenüber merkwürdig verhalten und als er sie abends auf Facebook anstupste, hatten sie nicht reagiert. Aber sie hatten ihre Profilbilder geändert und statt der alten nun Fotos von Spielkarten eingestellt. Paul hatte sich den Kopf zerbrochen, wie Anthony und Graeme sich heute
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