Dancing Jax - 01 - Auftakt
trotzdem warteten sie gespannt ab und fragten sich, wie lange die Lehrerin das noch hinnehmen würde – und was sie wohl machte, wenn man sie zu lange nervte.
»Das kommt auf das jeweilige Schloss an«, gab sie ernst Auskunft. »Jedes war anders, je nachdem wie reich und wichtig seine Bewohner waren. Nur die ganz Reichen konnte viele dieser Tiere halten.«
»Mylord Ismus hat vierzig prächtige Pferde in den Ställen von Mooncaster«, erzählte Graeme stolz. »Jedes einzelne von edler Abstammung – und jedes hat ein reich verziertes Gewand, das ihnen übergeworfen wird, wenn die Ritter ausreiten. Und das Weiße Schloss hat drei konzentrische Mauern und der Burgfried ist fünf Stockwerke hoch.«
»Es reicht!«, schimpfte Miss Smyth und zeigte mit ihrem Füller auf den Jungen. »Wenn du den Unterricht weiter mit deinen dummen Bemerkungen störst, wirst du nachsitzen.«
»Aber es stimmt!«, rief Anthony, um Graeme zu verteidigen. »Es ist das beste Schloss auf der ganzen Welt!«
»Mit den feinsten Rossen! Und es hat ein eigenes Gebäude nur für den Hengst des Kreuzbuben – dem er das Leben gerettet hat, als er noch ein Fohlen war! Es gibt kein Tier, das besser oder stärker oder schöner ist als das!«
»Genau!«, meldete sich nun auch Anthony wieder zu Wort. »Jeder Ritter beneidet ihn darum und –«
»Ruhe!«, brüllte Miss Smyth und knallte ihr Geschichtsbuch so fest auf das Pult, dass alle auf ihren Stühlen zusammenzuckten. Sie hatte keine Ahnung, was für ein Spielchen die beiden da trieben, aber sie hatte genug davon.
»Ich muss mich schon sehr wundern über euch beide!«, fuhr sie mit strenger Miene fort. »Noch ein Wort, nur eins, und ihr müsst nachsitzen.«
Die Jungen sahen gekränkt aus, als würde die Lehrerin ihnen unrecht tun. Trotzdem neigten sie die Köpfe und schwiegen den Rest der Stunde über.
Auch keiner der anderen Schüler wagte es, etwas zu sagen. Miss Smyth war hochrot angelaufen und ihre Nasenflügel bebten. Der Ungehorsam von Graeme und Anthony hatte dafür gesorgt, dass ihr der Geduldsfaden gerissen war, und nun wies sie die Klasse barsch an, ganze Abschnitte aus dem Buch in ihre Hefte abzuschreiben.
Paul und die anderen Kinder starrten die zwei Jungen an. Was bildeten die sich ein? Jetzt hatten sie alle unter der schlechten Laune von Miss Smyth zu leiden und die zwei hockten einfach nur da und machten demütig ihre Arbeit. Als es zum Stundenende klingelte, wagte keiner der Schüler aufzustehen, bis die Lehrerin ihnen die ausdrückliche Erlaubnis dazu erteilte. Schweigend verließen sie den Raum.
»Ihr zwei«, wandte sie sich an Graeme und Anthony, als die beiden an ihrem Pult vorbeikamen. »Kommt mal her.«
Die Jungen stellten sich mit zu Boden gerichtetem Blick vor sie.
»Ich verstehe nicht, was das heute sollte.« Ihr Ton war schroff. »Aber ich will dieses dumme Verhalten von euch nie wieder erleben, habt ihr verstanden?«
Anthony blickte auf und sah ihr direkt in die Augen. »Wir haben Sie verstanden, Miss«, sagte er mit furchtloser, fast arroganter Stimme. »Wir haben Sie gehört und wir vergeben Ihnen.«
»Wie bitte?«, fragte sie ungläubig.
»Wir vergeben Ihnen.«
Miss Smyth blieb der Mund offen stehen. Noch nie hatte jemand so mit ihr gesprochen, vor allem kein Siebtklässler. Anthony wandte den Blick nicht ab. Das hier war mehr als nur fehlender Respekt. Es war verstörend. Erschrocken stellte sie fest, dass seine Augen glasig waren, beinahe leblos – wie die Augen einer Puppe.
»Pass besser auf, was du sagst, junger Mann«, brachte sie schließlich heraus. »Ich werde euren Eltern eine Mitteilung schreiben.«
»Auch sie werden Ihnen vergeben«, gab er zurück. »Diesmal.«
Dann war Graeme an der Reihe. Sein Gesichtsausdruck war gleichgültig, gelassen und seine Augen wirkten ebenso merkwürdig wie die von Anthony.
»Sie wissen es ja nicht besser«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Sie gehören nun mal zu den Unwissenden, Miss.«
»Ja, Sie sind unwissend … noch.«
»Aber das wird sich ändern.«
Die Lehrerin wich auf ihrem Stuhl zurück. Mit den Jungs stimmte etwas nicht. »Raus«, murmelte sie mit so gefasster Stimme, wie ihr möglich war. »Raus hier.«
Eine Weile warteten die beiden noch ab und lächelten die Lehrerin an, dann verließen sie das Zimmer. »Gesegneten Tag!«, riefen sie noch.
Der Stift in der Hand von Miss Smyth zitterte, während sie auf die zufallende Tür starrte. Es war heller Tag, sie saß in einem Klassenzimmer in
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