Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
er recht hatte. Ja, sie war stark. In der Modebranche kam man nicht weit, wenn man sich leicht unterkriegen ließ. Egal wie viele Rückschläge man kassierte, man stand immer sofort wieder auf der Matte. Ehrgeiz zu beweisen bedeutete in diesem Fall, radikal und erbarmungslos zu sein. Schon oft hatte sie sich hartnäckig einen Weg auf Empfänge und Presseevents erkämpft, allein durch ihren starken Willen. Ihre Mutter hatte immer gescherzt, dass sie einen harten Kern hatte. Charms Miene verhärtete sich und sie riss sich samt ihrer angeschlagenen Nerven und ihres angekratzten Selbstbewusstseins zusammen. Ja, sie war tough genug.
»Wer sich an der Security vorbei auf die TV Choice Awards mogeln kann und nicht davor zurückschreckt, sich selber die Bikinizone zu entwachsen, für den ist das hier ein Kinderspiel, Süße!«, sprach sie ein ernstes Wörtchen mit sich.
Sie schaltete das Wasser in der Dusche ein, wartete, bis es warm war, und stieg hinein. Der Strahl klatschte ihr ins hochgereckte Gesicht. Als sie so dastand, ganz bewegungslos, stellte sie sich vor, irgendwo zu sein, wo es glamourös und toll war: unter einem tropischen Wasserfall, auf einem Fotoshooting für Bademode oder sogar für ihren eigenen Kalender. Solche Tagträume hatten ihr sonst immer neue Kraft gegeben und sie inspiriert.
»Schlag dir das aus dem Kopf«, sagte sie sich schließlich, spritzte sich Shampoo ins Haar und massierte es ein. »Du musst dir einen neuen Plan zurechtlegen.«
Bald darauf wirbelte das schaumige Wasser den Abfluss zwischen ihren Füßen hinab. Die Augen fest geschlossen, damit keine Seife hineinkam, hörte Charm, wie die anderen schon wieder an die Tür klopften.
»Ich mach ja schon!«, rief sie.
Doch das Klopfen dauerte an. Wegen Wassers in ihren Ohren klang das Geräusch merkwürdig, eigentlich gar nicht mehr wie ein Klopfen. Genau genommen nicht einmal wie das Hämmern von Knöcheln gegen Holz, sondern mehr wie Zangen, die nach einem Teller schnappten.
»Jetzt macht mal halblang!«, schrie Charm.
Das Klopfen wurde eindringlicher, dazu kam ein aufgeregtes Kratzen.
»Verkneift’s euch!«, sagte sie und war allmählich echt genervt. »Ich bin ja gleich so weit.«
Dann berührte etwas ihren Fuß. Charm wischte sich das Wasser aus den Augen und blickte nach unten.
In der Duschwanne prangte ein gezacktes, etwa CD-großes Loch, gleich neben dem Abfluss. Etwas hatte sich mit kräftigen Kiefern durch die Keramik gebissen. Aus der Öffnung ragte ein verbogener, abgebrochener Stock – das war es auch gewesen, was Charms Fuß berührt hatte. Plötzlich bewegte sich der Stock, ruckte und schabte in dem Loch herum. Obwohl sie noch immer unter der warmen Dusche stand, ließ der Schock Charm das Blut in den Adern gefrieren. Das war kein Stock. Es war ein langes Bein mit mehreren Gliedmaßen, wie von einem Insekt, nur viel, viel größer.
Die gekrümmte Klaue am äußeren Ende tappte über die lackierte Oberfläche und untersuchte blind die neue platschende Welt, in die sie geraten war. Dann schob sich ein zweites Bein von unten aus der Dunkelheit, rasch gefolgt von einem dritten und einem vierten. Vier spindeldürre Gliederbeine voll stacheliger Haare rumpelten und schlitterten in der Duschwanne herum und suchten nach Halt. Dann kamen zwei schwarze, glitzernde Augen, umgeben von dunklem, drahtigem Pelz, aus der Öffnung. Zum Schluss drückte sich ein fleischiger Mund nach oben, grässlich verzerrt vor Anstrengung und besetzt mit Giftzähnen und rasiermesserscharfen Beißwerkzeugen.
Charm schleuderte dem Untier kreischend ihre Shampooflasche entgegen. Sie prallte nutzlos ab. Dafür fixierten die Augen nun Charm, während die Kiefer gierig auf und zu schnappten. Das abstoßende Wesen wollte nach ihr beißen, doch das Loch war zu klein. Der Rest des Körpers konnte sich nicht hindurchzwängen. Die Kreatur kreischte Charm an, dann wand sie sich in wilder Raserei zurück in die Tiefe, um sofort noch mehr von der Duschwanne abzunagen.
Noch immer wie am Spieß brüllend, sprang Charm auf den Boden, griff sich ihren Bademantel und zerrte an der Tür, ohne daran zu denken, dass sie vorhin abgesperrt hatte.
»Lasst mich raus!«, schrie sie panisch.
Urplötzlich brach der Lärm der brechenden Keramik ab. Zitternd drehte Charm sich um und sah, wie erneut die Beine auftauchten, gefolgt von den wilden Augen, deren Blick sich auf sie heftete. Diesmal hatte das Vieh keine Probleme, auch den Rest des Körpers – und vier weitere
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