Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
seinem eigenen Leiden ein Ende zu setzen. Lange würde er die immer größer werdende Verzweiflung nicht mehr aushalten, er stand kurz vor einem Zusammenbruch.
Auf der Rückseite des Hauptgebäudes war Jody aufgrund der Schüsse fix und fertig. Eingepfercht in den stickigen Schrank dämmerte sie nun vor sich hin.
Viele Stunden später hörte sie ein altes Tanzlied durch das Lager knarzen. Dass es Three o’Clock in the Morning hieß und von Paul Whiteman und seinem Orchester stammte, wusste sie natürlich nicht. In ihren Ohren klang das Stück noch teuflischer als die Schüsse zuvor, weil es so bizarr und hier völlig fehl am Platz war. Jody fürchtete, sie würde halluzinieren, vor allem, als das unnatürliche Gebrüll eigenartiger Tiere erschallte. Schließlich fiel ihr der Kopf auf die Brust und die Nacht verstrich.
19
Donnerstag, 30. April 1936
Der Abend war herrlich. Estelle Winyard genoss die Fahrt in dem wundervollen Morris Eight Tourenwagen – noch dazu mit offenem Verdeck – so sehr, dass sie gar nicht mehr so versessen auf die Party war.
»Oh, lass uns einfach immer weiterfahren«, flehte sie. »Es gibt nichts Großartigeres, als im Frühling raus aufs Land zu fahren. Es ist so himmlisch, das stickige alte London hinter sich zu lassen. Aber ich will nicht auf diese scheußliche Party. Ich kenne dort sowieso niemanden. Durch die Gegend zu brausen ist viel schöner. Lass uns einfach nicht hingehen – dafür entschuldigen können wir uns morgen noch. Du kannst ja behaupten, dass ich auf einmal an Polio erkrankt bin oder an Rachitis oder Diphterie oder irgendwas anderem Tragischem. Mir würde das nichts ausmachen, ja wirklich nicht. Wir könnten einfach immer so weiterfahren, bis uns das Benzin ausgeht, und dann verstecken wir uns über Nacht in einer Scheune.«
Simon Beauvoir schenkte ihr sein markantes Lachen, für das er überall bekannt war. »Manchmal gibst du wirklich den erbärmlichsten Käse von dir!« Er hob den Blick von der leeren Landstraße und sah Estelle an.
Einer ihrer blütenweißen Arme hing lässig über der Autotür. Ihr hübscher Kopf war in einen Schal aus elfenbeinfarbenem Chiffon gehüllt, der ihre glänzend braunen Locken vor dem Wind schützte. Eingerahmt von dieser zarten Wolke, wirkte ihr Gesicht engelsgleicher, als Estelle es tatsächlich war. »Und ob du mitkommst. Und damit basta. Jetzt haben wir es uns ohnehin schon mit deinem alten Herrn verscherzt, weil wir übers Wochenende geflüchtet sind, da wollen wir das doch wenigstens ordentlich ausnutzen … Der Blick von dem Hoteldirektor vorhin!«
»Felixstowe liegt wirklich am Ende der Welt«, beklagte sie sich. »In der Lobby habe ich eine Frau mit Glockenhut gesehen und eine andere hatte eine Frisur wie Mary Pickford! Stell dir das nur vor – die sind doch alle von vorgestern! Ich verstehe wirklich nicht, wie der ›Teufel Englands‹ in dieser Gegend wohnen kann. Scheint mir so gar nicht der passende Sündenpfuhl zu sein.«
»Ich habe es dir doch erzählt, seine Familie hat hier ein Anwesen.«
»Anders lässt es sich auch kaum erklären. Was für ein einfältiges Städtchen!«
»Du würdest dich wundern, wer ihn hier alles besucht! All die Hasenfüße, die in der Öffentlichkeit nicht mit ihm gesehen werden wollen: Erzbischöfe, Parlamentsmitglieder, Lords, Herzoginnen, Künstler, diese grässliche Simpson-Frau, die unserem Kronprinzen den Kopf verdreht hat – die treibt sich hier sogar ziemlich oft herum. Also kannst du drauf wetten, dass unser Prinzlein auch hier ist. Der läuft ihr hinterher wie ein Schoßhündchen.«
»Simon, du kennst die feine Gesellschaft in- und auswendig. Deshalb füllst du für Daddys kitschige Zeitung ja auch fleißig die Klatschspalte: Wer auf wessen ödem Empfang war, wer zur Opernpremiere erschienen ist, wer in die Stadt kommt und all diesen aufgeblasenen Blödsinn. Also erzähl mal, Hand aufs Herz, ist AF wirklich so durchtrieben, wie alle sagen? Ich habe ihn nur einmal von Weitem gesehen, auf einem der grässlichen Bälle der Mitfords.«
»Liebe Estelle, du bist mit Abstand eine der dekadentesten Personen, die ich kenne, also tu nicht so. Überlass es den anderen gelangweilten Töchtern aus gutem Hause, mit Faschisten oder dem Sozialismus zu liebäugeln, um ihre unverheirateten Tanten zu schockieren. Denn wenn du es versuchst, klingt es unglaubwürdig, meine süße Nachtigall. Du gibst doch keinen Pfifferling aufs Volkswohl und die Arbeitslosen! Du würdest keinen Tag ohne
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