Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
sitzen ist göttlich. Wie früher bei einem Abendessen mit Omama. Sie war ein famoser Kerl! Egal, wie ungezogen ich war, sie hat mich nie verhauen oder bei Papa verpetzt. Und ich war schon ziemlich ungezogen – bin ich noch immer.« Sie baumelte fröhlich mit den Beinen und hob die Arme, um die Hände auf die Lehnen zu legen. Die Verzierungen des Schmiedeeisens waren mehr als merkwürdig. Einige hätte man für Buchstaben eines archaischen Alphabets halten können. Estelle wusste ganz genau, dass sie zum Anbeißen aussah, und ließ ihre Finger kokett über die Formen in den Lehnen wandern, damit Austerly Fellows sie bestaunen konnte. Dann drehte sie sich wieder zu ihm und zwinkerte verführerisch. »Sie können mich haben, wissen Sie«, hauchte sie heiser. »Ich könnte Ihre sechste Teufelsmuse werden. Angeblich bin ich ziemlich gut darin – im Unzuchtbegehen, meine ich. In gewissen Kreisen habe ich den Spitznamen Nachtigall, weil man mit mir so gut vögelt.«
Austerly Fellows zog sich hinter die Apparaturen zurück.
»Himmel!« Sie lachte. »Jetzt habe ich sogar den Teufel Englands geschockt!«
»Ganz im Gegenteil, Miss Winyard.« Er legte an dem größten Gerät einen Schalter um und schob vorsichtig und mit wohlüberlegten Bewegungen einen Hebel herunter. »Ich werde Sie schockieren.«
Ein leises Summen drang aus dem Apparat und ein seltsamer ätzender Geruch erfüllte die Luft.
»Was machen Sie da?«, beschwerte sich Estelle. »Ich dachte, Sie wollen an mir herumspielen, nicht an Ihren neumodischen Kristallkugeln.«
»Ich nasche nie von einem Dessert, das andere schon angefressen und besudelt haben«, äußerte er kalt.
Estelle schoss die Röte ins Gesicht. »Sie unausstehliches Schwein!«, keifte sie. »Warum haben Sie mich denn sonst hier heraufgeholt?«
»Er wollte, dass du freiwillig mitkommst, dummes Ding«, antwortete eine Frau, die in der Tür aufgetaucht war. Es war Irene Purbright, die nun eine purpurne Robe trug. »So hat man viel weniger Schmutz und Mühe – außerdem amüsiert es ihn.«
Irene nahm ihren Platz an einer der Apparaturen ein. Hinter ihr strömten weitere Gäste ins Zimmer. Auch sie waren in Purpur gekleidet, während ihre Gesichter noch immer hinter Tiermasken verborgen waren. Augusta war ebenfalls dabei. Die nervöse Frau ging zu einem der Geräte und setzte sich Kopfhörer auf. Als sie an einem Knopf drehte, legte sich ein Ausdruck von Seligkeit auf ihr längliches Gesicht.
Estelle hatte genug. Sie würde auf der Stelle von hier verschwinden und machte sich daran, von dem Stuhl zu klettern.
»An Ihrer Stelle würde ich das unterlassen«, riet Austerly Fellows. »Die Kupferplatte im Boden steht jetzt unter Strom – dreitausend Volt, um genau zu sein. Zwar wäre der Jitterbug, den Sie aufs Parkett legen würden, höchst unterhaltsam – aber es wäre doch ein sehr kurzes Tänzchen.«
Estelle schaute auf das Kupfer, das den Stuhl umgab. Sie glaubte dem Mann. Mit einem entsetzten Keuchen rutschte sie zurück auf die Sitzfläche. »Das können Sie nicht machen!«, protestierte sie wütend. »Lassen Sie mich gehen, sonst schreie ich das ganze Haus zusammen!«
»Da wärst du nicht die Erste«, informierte sie Irene. »Aber wir sind hier nicht im schicken London. Im ganzen Haus ist niemand, der auch nur mit der Wimper zucken würde, und das nächste Dorf ist unseren ungewöhnlichen Lärm durchaus gewohnt. Du hättest nicht herkommen sollen. Verwöhnte kleine reiche Mädchen wie du meinen immer, dass sie ach so besonders sind, dabei sind sie lächerlich leichte Beute.«
»Wenn es von Ihrer Sorte doch mehr gäbe!«, wandte Austerly Fellows sich an Estelle. »Dann würde sich Dancing Jacks so viel schneller durchsetzen. Die Eingebildeten und Oberflächlichen, diese schwächliche Masse mit ihren verdrehten Vorstellungen von dem, was ihr angeblich zusteht – das ist der beste Zunder für das gierige Feuer meiner Heiligen Worte.«
Verzweiflung machte sich in Estelle breit. Doch dann spähte ein vertrautes Gesicht zur Tür herein. »Simon!«, schrie sie. »Oh, Gott sei Dank!«
»Hallöchen«, entgegnete er und schlenderte herein. »Schau an, wie du da oben hockst, wie ein Huhn auf der Stange!«
»Diese Leute sind völlig wahnsinnig!«, rief sie. »Ich kann nicht herunter. Sie haben den Boden unter Strom gesetzt. Hilf mir! Schalte dieses Ding aus!«
Simon Beauvoir wirkte ein klein wenig verschämt. »Eigentlich möchte ich das aber gar nicht, altes Haus.« Er spazierte zu den
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