Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
hier sitzen, wenn es nicht einen dringenden Grund gäbe.«
»So.«
»Ja.«
»Und.«
»Ihre Tochter denkt, Ihre Frau wäre behindert.«
Gong, Britta! Direkt mit der Tür ins Haus! Wer ein Gespräch dringend nicht führen möchte, der sollte so anfangen. Ganz, ganz toll gemacht!
Ich war so mit mir beschäftigt, dass ich erst Sekunden später realisierte, dass Roland Weller sich köstlich amüsierte.
»Polly denkt, meine Frau wäre behindert!«, wiederholte er. »Das denk ich auch oft! Harrharrjapps!«
Der wurde mir deutlich zu albern. Da war ja nichts mit anzufangen. Aber ich wollte so schnell nicht aufgeben.
»Herr Weller, ich habe mich lange mit Ihrer Tochter unterhalten, und sie erklärt sich das viele Geschrei, das Ihre Frau mit ihr veranstaltet, mit einer Nervenerkrankung.«
»Na, das ist doch prima, dann müssen wir mit meiner Frau nicht mehr zum Arzt, sondern fragen mal die Polly.«
Den würde ich auch den ganzen Tag anschreien, in dieser Hinsicht hielt ich Frau Weller für kerngesund. Wie kam ich jetzt im Thema weiter? Ich fand, dass tatsächlich jemand erfahren sollte, welche Notgedankenwelt sich Polly aufgebaut hatte. Und der andere wichtigste Mensch im Leben eines Kindes war nun mal der Vater, ob als solcher talentiert oder nicht.
»Herr Weller, ich meine das hier durchaus ernst, ich finde, kein Kind sollte sich eine Krankheit für die Mutter ausdenken, damit es besser erträgt, wie sie ist.«
»Hast du Psychologie studiert? Wo hast du denn da gesessen im Seminarraum? Konnteste was sehen, die anderen Studenten waren ja wahrscheinlich alle größer als du.«
»Herr Weller! Könnten Sie sich nicht einfach mal für einen Moment zusammenreißen. Ich bin nicht der Kinderarzt, der mit Ihnen über Polly sprechen möchte, sondern eine mit Polly befreundete Maus. Ja, das haben Sie bis jetzt noch nie erlebt, und Sie kennen auch keinen, der das schon mal erlebt hat, weiß ich, ja, und jetzt ist mal gut. Ab jetzt brauchen Sie mir nur mal zu zuhören. Ist doch egal, wer einem was sagt. Wenn’s wichtig ist, ist es wichtig.«
»Ah, eine philosophische Maus.«
Ich sagte nichts mehr, ich schaute ihm nur fest in die Augen. Er hielt dem Blick stand und schien tatsächlich den Kurs zu wechseln.
»Okay Britta. Dann wollen wir mal. Dann hab ich jetzt mal eine Frage an dich: Wieso machst du dir so einen Kopf um Polly?«
Leider hatte ich mich im An-mich-Halten bis hierhin so verausgabt, dass ich nun einen verbalen Sprint hinlegte.
»Herr! Weller! Ich habe keine Ahnung, warum man Kinder kriegt, wenn man sie nicht wirklich, wirklich will, davon hab ich keine Ahnung, ich kann Ihnen nur so viel sagen: Seitdem ich bei Ihrer Tochter wohne, kann ich gar nicht anders, als mir einen Kopf um sie zu machen. Kinder sind nämlich eine Mischung aus ganz klein und ganz groß. Da kommt man ja aus dem Staunen gar nicht mehr raus, gucken Sie beide eigentlich die ganze Zeit an Ihrem Kind vorbei?!«
Jetzt würde er mich nehmen wie einen Tennisball und man würde meine Knochen an der Wand zerbrechen hören. Ich hatte echt zu fest in die Sahne gehauen!
Nun? Ich hockte da mit zusammengekniffenen Augen und wartete auf seine kräftigen Finger.
Aber Herr Weller saß stumm auf dem Sofa und starrte vor sich hin.
»Tja, da sagste was ... Eine Mischung aus ganz groß und ganz klein, jaja. Und das Dollste ist, diese Mischung hört nie auf, das sag ich dir. Das bleibt so. Du wirst vierzig und mal bist du ganz groß und lenkst das Schiff und dann biste wieder ganz klein, kommst nur nicht mehr auf den Schoß.«
»Auf den Schoß kommt Ihre Polly ja auch schon nicht mehr.«
»Die Polly war nie ein Kind, das gern gekuschelt hat!«
»Das kann ich a) als ihre Maus nicht bestätigen und b) ist das kein Grund, sich für das Kind dann nicht weiter zu interessieren.«
»Ach, Quatsch, das stimmt doch gar nicht! Nicht interessieren, so ein Blödsinn, wir sind doch keine Unmenschen, die Polly kann sich doch wohl nicht beklagen, die hat doch hier alles!«
»Die beklagt sich ja auch nicht, die denkt sich halt ganz stikkum für sich eine Geschichte über ihre unzufriedene Mutter aus und beklagt sich nicht.«
»Ich hab auch früher nicht gerade schmeichelhaft über meine Mutter gedacht, das machen Kinder halt so.«
Hilfe, war das ein dickes Brett!
Der Mann hörte sich so an, als hätte er noch nie über dieses große Elternding gesprochen. Nicht mit sich, nicht mit seiner Frau, nicht mit anderen Eltern. So ein Durchwurschtler-Vater.
Leider war ich
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