Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
jetzt auf und bring mal dem Jägers Mamas Kuchen mit in die Schule.«
»Äh, Jägers?«
»Ja, der Jägers. Der ist bestimmt Sportlehrer geworden, weil der immer rennen muss, der ist echt immer nur am Rennen. Renn, renn, renn! Oder am Klettern. Oder was weiß ich. Echt, der rennt immer nur in der Gegend rum und klatscht in die Hände und schreit: Hopp! Ey, wie cool, wenn der aufm Stufenbarren, so dong, einpennt und dann so, klatsch, da runtersegelt! Und alle so: ›Hö?! Was ist denn mit dem los?‹« Luise hielt sich schon wieder den Bauch, ein äußerst spaßbereites Kind.
»Was willst du jetzt machen? Du willst deinem Sportlehrer so einen Ritalinkuchen verabreichen??«
Das spaßbereite Kind haute mir vor die Stirn, dass ich vom Schreibtisch flog.
»Oh, sorry« – diese Entschuldigung konnte ich nicht für ganz ernst gemeint halten, weil sie sich dabei vor Lachen schüttelte –, »Mann, bist du futzi! Fliegt die hier, so doing, vom Tisch, chchrrr! Ja klar, ich probier das einfach am Jägers mal aus. So ’nen Sportler haut das vielleicht ja gar nicht so schnell um, das Zeug, mein Vater ist ja nur ’n Büropupser, weißte?«
»Liebe Luise, ich fasse mal zusammen: Du hast heute erfahren, dass dein Vater von diesem Ritalin regelrecht umfällt, du hast im Internet nachgelesen, dass das ein höchst brisantes Mittel ist – und das Ergebnis ist, dass du das nun an deinen Sportlehrer verfüttern willst. Hab ich das richtig verstanden?«
»Brav, Britta! Schlaue Britta! Und wenn der Jägers vom Stufenbarren runtergeklatscht ist, dann rufen wir die Zeitung an und dann gibt’s ein Riesentamtam und dann wissen die Forscher, dass da auch Sportlehrer von umfallen.«
Das Kind spürte so etwas wie einen unerschöpflichen Forschungsauftrag, bekam ich den Eindruck. Den musste ich ihr innerhalb der Woche unbedingt ausreden.
Das hatte ich mit Mühe und Not in der mir verbleibenden Zeit geschafft. Luise versprach mir zum Ende meines Aufenthaltes bei ihr, die Vergabe von Ritalin an Herrn Jägers bis auf Weiteres auszusetzen. Mit meinem Wunsch, das Pulver doch bitte ganz zu vernichten, hatte ich mich leider nicht durchsetzen können. Trotz gegenteiliger Empirie schien Luise immer noch an einer positiven Wirksamkeit des Mittels festhalten zu wollen. Ich würde ihr beizeiten in der Frage der Berufsfindung einen Platz in der Pharmaindustrie anraten.
Und nun saß ich bereits in einem nächsten Film, um es mal salopp zu sagen.
Polly lackierte mir die Vorderkrallen. Pflaume hieß die Farbe. Glauben Sie mir, wenn ein elfjähriges Mädchen Ihnen auseinandersetzt, dass man sich des Samstags die Fingernägel macht, und darauf hinweist, dass heute Samstag ist, dann fehlen Ihnen die Argumente.
Polly war überglücklich, dass die erste Woche meiner Fremdunterbringung bei Luise vorbei und nun Wochenende war, das ich ja, wie vereinbart, bei ihr verbrachte. Dass ich in der folgenden Woche zu Malte ziehen würde, lag für uns noch in weiter Ferne.
»Polly??«, tönte eine altbekannte Stimme von unten herauf. »Hast du dir wieder meinen Nagellack genommen?«
»Siehste, samstags macht man sich die Nägel, hab ich dir doch gesagt«, pinselte Polly zufrieden an mir herum.
Da flog ihre Zimmertür auf, und im Türrahmen fand die bereits über die Idee, dass ihre Tochter ihren Nagellack an sich genommen haben könnte, geladene Mutter Aufstellung. Dann erkannte Frau Weller, was genau ihre Tochter mit dem Kosmetikutensil da anstellte.
»Sag mal, bist du jetzt vollkommen bescheuert, Polly?! Einer Maus die Pfoten anmalen, hast du noch alle Tassen im Schrank? Der Lack geht sofort wieder an mich, aber SOFOCHT! Ich glaub, ich seh nicht richtig!«
»Ganz kurzen Moment, ich muss nur noch drei Krallen ...«
»WAS IST AN SOFORT SO SCHLECHT ZU VERSTEHEN?!«
Polly wollte trotz dieser engagierten Gegenrede gerade ein letztes Mal den Pinsel eintauchen, um ihr Werk doch noch rasch zu beenden, da schnappte Mutters Rechte sich das Fläschchen und rauschte mit der Trophäe aus dem Zimmer.
Ich saß da mit dreizehn pflaumenfarbigen und drei naturbelassenen Krallen.
»Ich weiß, wie wir‘s machen!«, rief Polly, holte aus ihrer Schublade einen lila Filzstift und setzte unverdrossen ihr Werk fort.
Derweil hatte ich noch Herzklopfen von dem Sturm, der mit der Mutter als lebendige Dauerattacke durch das Zimmer geweht war. Wie machte dieses Mädchen das? Wohin mit dem Schrecken? Sollte ich sie das mal fragen oder wäre das zu persönlich? Das mit
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