Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
kreisrunden Augen an, ihr Blick wechselte von mir zu Rico, zu mir, zu Rico, zu mir, ich konnte gar nicht mehr mitzählen. Dann tippte sie sich an die Stirn: »Jaja, klar, Autos raten mit ’nem Kater, du hast doch ’nen Vogel. Der macht mit dir Autos raten und du so: Fiat? VW? Audi? Mercedes? Und der so: Happs, weg biste. Bist du doof, Britta?«
»Ich weiß, Polly, das hab ich doch zu Anfang auch gedacht, aber glaub mir einfach, der hätte mich schon hundertmal vierteilen können, so was macht der Rico nicht, ganz sicher.«
»Ey, mein Vater hat letztens ’nen Film gesehen, hab ich alles voll mitgekriegt, da war auch einer, der hat erst nur so voll auf nett gemacht, so richtig lange, und wie das Opfer null mehr dadran dachte, da hat der die eiskalt umgehauen. Eiskalt, so: zosch, bumms, weg war die! Voll brutal!«
Rico hatte der Szene bis hierher beobachtend beigewohnt, jetzt übernahm er: »Darf ich dir eine kleine Geschichte erzählen, Polly?!«
Polly zuckte mit den Schultern.
»Ich habe tatsächlich mal Mäuse gejagt und sie auch gefressen. Eine ganze Zeit lang habe ich das gemacht. Bis ich eines Tages in einem Garten ein Mädchen beobachtete, das die Überreste einer Maus in den Händen hielt und bitterlich weinte, die kriegte sich gar nicht mehr ein, da hat es in mir ganz laut WUMMS! gemacht. Ich hab dann noch mal eine Maus probiert, aber es ging nicht mehr, ich kriegte die einfach nicht mehr runter. Tja, und dann hab ich sowieso so einiges in meinem Leben überdacht, Deutsch und Schwimmen gelernt, genauer: Delfin, das andere wäre jetzt hier zu viel, aber was ich dir sagen will, sei wirklich ohne Sorge, Polly. Ich tu deiner Britta nichts. Im Gegenteil, ich würde sie immer vor allem und jedem beschützen.«
Um seine Worte zu untermauern, hatte ich meine linke Vorderpfote auf seine Tatze gelegt, wir mussten trotz Artenzweifalt wie ein altes Ehepaar aussehen.
»Jetzt seht ihr aus wie ein altes Ehepaar, das ist echt krass. Was soll ich denn jetzt machen, soll ich vielleicht auch keinem was sagen oder ist das egal?«
»Keinem was sagen wär ’ne gute Idee. Es würden sich nämlich alle, die von uns erführen, genauso aufregen wie du, das ist ja klar. Meine Halswirbelsäule hält nur einfach nicht noch mehr Enten-Sammelbänden stand.«
»Poah, das ist hart, keinem was sagen, kann ich nicht vielleicht einem Einzigen, vielleicht der Mara, die sagt garantiert nix weiter, bitte, kann ich nicht wenigstens der Mara?«
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Dieses Gespräch fand ich formal wie inhaltlich unergiebig, aber ich wohnte mittlerweile bei Mara. Dem Mädchen, das nicht sprach. Dann aber doch mittels Sprache an eine Tätowierung gekommen war.
Ich hatte keine Ahnung, warum sie sich bei diesem Anlass einmal zu Wort gemeldet und zielführend geäußert hatte, sich ansonsten aber durchweg zurückhielt. Sie war regelmäßige Teilnehmerin der Dienstagsgruppe und schien sich dort auch wohlzufühlen. Das kann man ja körperlich spüren, ob ein Kind sich unwohl fühlt oder wohl, da muss es gar nicht groß reden, wenn es partout nicht will. Da helfen einem die Augen, die Körperhaltung, wie es sich im Raum bewegt und lauter solche Details. Augen auf, Fühler raus, dann weiß man auch schon mehr, hatte ich gelernt. Und Mara schien partout nicht zu wollen. Die verlor doch tatsächlich auch mir gegenüber nicht ein einziges Mal ein Wort über Rico! Aber unter Garantie wusste sie haarklein Bescheid, das hätte Polly doch anders gar nicht ausgehalten. Polly hatte da den absolut richtigen Riecher gehabt: Mara war tatsächlich die beste Adresse, wenn man etwas loswerden musste in der Hoffnung, dass es danach keine Verbreitung fände. Es gibt ja auch Wesen – in der Mäuse- wie in der Menschenwelt – , denen man etwas anvertraut, wenn man den Wunsch hat, dass diese Information möglichst bald möglichst viele erreicht.
Ich glaube, Mara kam gern in die Dienstagsgruppe, weil sie dort von allen in Ruhe gelassen wurde und trotzdem dazugehörte. Ich hatte eh den Eindruck, dass, wenn man die Kinder unter sich schalten und walten ließ, sie für jeden Charakter eigene Lösungen fanden. Allerdings muss ich sagen, dass ich das Miteinander mit Mara dienstags deutlich einfacher fand, wenn die anderen dabei waren, als jetzt, da ich bei ihr wohnte und wir uns häufig ohne Text gemeinsam in einem Raum aufhielten. Wie gern hätte ich mich
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