Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
Hunger und sonst nichts.
Ein Gedanke geht mir allerdings nicht mehr aus dem Kopf, seitdem ich mit Mara »Die Reise der Pinguine« angeschaut habe.
Wir saßen bereits zum dritten Mal vor diesem preisgekrönten Werk und hatten auch jetzt wieder eine Wolldecke über uns gelegt, weil man sich solch eine Tortur ja gar nicht in normaler Kleidung ansehen kann.
Und da brachte mich Mara auf eine Idee. Und die werde ich seitdem nicht mehr los. Denn Maras Ideen sollte man nie von oben herab weglächeln, die sind durchaus großkalibrig.
Mara brachte nämlich die Frage auf, ob »Die Reise der Pinguine« nicht vielleicht eine gigantische Studioproduktion gewesen sei. So unmöglich ist der Gedanke gar nicht, weiß man ja schließlich aus der Presse, dass das Filmgeschäft ein äußerst hartes ist. Also muss doch auch der Dokumentarfilmer bisweilen auf große Effekte setzen, weil Sie sich ja sonst so schnell langweilen. Es könnte also doch auch so gewesen sein, dass der Monsieur Jacquet aus Gründen des Suspense den Pinguinen vorgeschlagen hat, kommt, wir peppen eure Wanderung mal ein wenig auf, wir gehen so richtig ins Eis, mit Sturm und ewig kein Essen, schließlich muss ich den Film ja auch verkauft kriegen, und wenn ihr da nur so durcheinanderlauft, das bringt mir keine Bilder. Und als die dem dann, zu Recht, einen Vogel gezeigt haben, war der zunächst am Ende mit seiner Filmidee.
Und dann hat der Gott sei Dank die Pinguine für seinen Plan gewinnen können, die Aufnahmen in ein Studio zu verlegen, und dort haben die einfach unheimlich gut mitgemacht.
Wenn ein Pinguin nämlich mitbekommt, dass du seine Hilfe brauchst, ist der sofort zur Stelle. Sie können einen Pinguin nachts um drei anrufen, der schleppt Ihnen Ihr Auto von überall ab. Damit haben diese wunderbaren Tiere womöglich Herrn Jacquets berufliche Existenz gerettet.
Es könnte so gewesen sein.
Ich habe mitbekommen, was es bei Ihnen bedeutet, wenn Stars wie Amy Winehouse plötzlich sterben. Oder Michael Jackson. So richtige Mega-Stars, von denen man denkt, die müssten doch unsterblich sein. Dabei sind besonders die ja sterblich, bei dem ganzen ungesunden Zeug, das sie häufig jahrelang wie Butterbrote zu sich nehmen. So plötzlich sterben die dann nämlich gar nicht. Wer nicht ganz doof ist, rechnet doch gerade bei denen mit einem vorzeitigen Ableben. Aber so ist das nun mal mit den berühmten Leuten. Über die denkt man ein Zeug, das ist ja auf niemanden sonst anwendbar.
Mara diente mir als gutes Beispiel dafür, wie Sie immer wieder dem einen oder anderen Sängerstar huldigen. Noch ein halbes Jahr nach Mrs Winehouses Ableben erfuhr jedes einzelne Lied, das sie jemals in einem Studio eingesungen hatte, durch Mara eine enorme Aufmerksamkeit. Sie hatte alle CDs, die sie von ihr besaß, aus den Schränken hervorgeholt und hörte täglich Frau Winehouse rauf und runter. Mara hörte Frau Winehouse mit offenen Augen, mit geschlossenen Augen, im Stehen, im Sitzen, im Liegen, stumm und aus vollem Hals mitsingend. Das war die reinste Form der Verehrung. Ich kannte das.
Wir hatten auch so jemanden. So einen Star. In den frühen Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Das ganze Mäusevolk stand Kopf, wenn Josefine auftrat. Und bis heute spielt es in der Definition des Maus-Seins eine Rolle, dass es Josefine gegeben hat, selbst wenn man für ein Live-Erlebnis die Ungnade der zu späten Geburt zu beklagen hat. Dass unsere Gattung solch ein gottgleiches Wesen hervorbringen konnte, zeigt ein kleines bisschen, wer wir sind und waren, wir Mäuse.
Josefine war eine Künstlerin durch und durch, sie war durchdrungen von Musik, und ihre ganze Erscheinung hatte nichts von der Irdischkeit (sagen Sie mir ein besseres Wort!), die den Rest des Mäusevolkes ausmachte. Niemand hat je an sie herangereicht, so talentiert er sich auch an die Nachahmung machen wollte.
Die callasgleiche Stimme meiner Mutter, so berückend ihr Gesang auch gewesen ist, hätte ich dennoch niemals als Vergleich mit Josefine herangezogen.
Diese Ausnahmepersönlichkeit zu beschreiben, gelang bis dato niemandem. Niemand auf der Suche nach Worten für Josefine fand je die richtigen. Und auch Ihr sehr geschätzter Herr Kafka, Franz, verhob sich, als er sich 1924 in seinem Text »Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse« mit ihr auseinandersetzte. Selbst der so große Literat bekam diese Künstlerin nicht zu fassen, es ist schmerzlich, das nachzulesen. Man darf das Herrn Kafka nicht
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