Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
kurz darauf begeistert über Maras Gefühl für Rhythmus, und auch ihre Stimme hatte es ihm ausgesprochen angetan. Er hob hervor, wie klar und sicher ihr Gesang sei. Und fügte an, dass sie einem mit ihrer schönen Stimme allerdings nur wenig gesprochenen Text gönne. Mit einem Augenzwinkern, das im Raum ein lautes Knickknack hören ließ, empfahl er ihr den Beruf der Opernsängerin. Da käme dann zusammen, was ihre Stärken seien: Eine gute Stimme und durch wenig Sprechen wiederum genug Schonung für ebenjene.
Herr Würfel verstieg sich immer weiter in dieses Bild, das er da von Mara zeichnete, und hatte an sich selbst einen ungeheuren Spaß, ich hingegen fand ihn zunehmend taktlos. Für einen Musiklehrer ja ein gravierenderer Mangel als bei jedem anderen.
Nachdem sich Herr Musiklehrer Würfel also dergestalt über Maras Stimme und die Möglichkeiten ihrer Nutzung ausgelassen hatte, fanden wir uns eine Viertelstunde später bei der Dame ein, die die Kinder in Geschichte unterrichtete, Frau Monheim.
»Sag mal, Mara. Was mir üüüberhaupt nicht gefällt, ist deine mündliche Beteiligung am Unterricht, ach, was sag ich denn, deine Nicht-Beteiligung am Unterricht, muss ich ja eher sagen, von dir kommt ja wirklich überhaupt nichts, ü-ber-haupt-nichts, null, absolut gar nichts, niente, nada, rien, was denkst du dir denn dabei, wie soll ich dir denn eine Note geben, wenn ich von dir nie etwas höre, einfach nichts, rien, null, gut, wir haben noch die Tests, die sind ja gar nicht so übel in deinem Fall, aber wenn da nicht bald mal was kommt von dir, ich weiß es nicht, was soll man denn mit dir machen, du sitzt da stumm, da kommt einfach gar nichts, und man fragt sich wirklich, was ist mit dem Kind bloß los, da kommt ja so gar nichts, Frau Becker, spricht die Mara denn zu Hause auch so wenig, ach was, nichts, irgendeiner muss dem Mädchen jetzt mal klarmachen, dass das so keine Zukunft hat, sag mal, hast du denn Freunde, wenn du gar nicht sprichst, dann kannst du ja schlecht Freunde haben, da fragt sich ja jeder, was ist denn mit der los, sag mal, warum kommt von dir denn so rein gar nichts?«
Mara hatte sich in der Zwischenzeit zur Tür gedreht und hielt abwartend die Klinke in der Hand.
Im Hinausgehen ließ sie ein »Deshalb« vernehmen.
Cooles Mädchen!
Mit diesem coolen Mädchen saß ich tags darauf gemütlich auf dem Sofa und schaute »Die Reise der Pinguine«.
Ich teilte mit Mara die Liebe zu Tierdokumentationen.
Es gab dabei für mich allerdings einen unausrottbaren Störfaktor, und das war die Tatsache, dass derlei Berichterstattung über tierisches Leben ausschließlich von Menschenhand gemacht ist.
Mir ist natürlich vollkommen klar, dass es ja anders gar nicht zu bewerkstelligen ist – wie sollte ein noch so wendiges Erdmännchen ein Konzept erstellen wie der Autor des Films »Wächter der Wüste«?
Es ist mir ebenso klar, dass man als Tier froh sein sollte, dass die Gattung Mensch sich unserer Darstellung in Buch und Film widmet, denn ansonsten gäbe es von uns ja nirgendwo Aufzeichnungen für die Nachwelt.
Dennoch bleibt festzuhalten: Jedwede Tierdokumentation krankt daran, dass es eben nirgends Einordnungen von den Betroffenen selbst gibt. Dem Betrachter muss jederzeit bewusst sein, dass es sich bei der einfühlsamsten, authentischsten Arbeit immer noch um die eines Menschen handelt, der lediglich den Versuch unternimmt, ein Tierleben in seiner Fülle darzustellen.
Ich erkenne zutiefst an, welche Mühen der Tierfilmer auf sich nimmt.
Um unsere Unbilden im Bild festzuhalten, nimmt er diese selbst auf sich.
Ich verneige mich vor dem Ehrgeiz, mit dem er sich im Outdoorbetrieb ausrüstet und sich daraufhin ins kalte Eis, in die trockene Wüste oder in aussterbende Dörfer begibt. Er robbt durch Dreck, er holt sich Malaria, und er schläft zu wenig. Das ist wirklich groß! Tierfilmer habe ich schon häufig bewundert.
Aber natürlich gilt meine Bewunderung in einem noch größeren Maße den dokumentierten Tieren selbst. Wenn Sie jetzt mal die Pinguine nehmen. Überhaupt. Pinguin. Könnte ich nicht. Zu kalt.
Ganz ehrlich, ich bin nicht mit diesem Biss, mit diesem Durchhaltewillen ausgestattet. Sie haben es ja miterlebt: Ich verliere beim Zähneklappern durch Frieren direkt Schneidezähne.
Das halten Sie im Kopf nicht aus, was die Natur den Pinguinen für ein Leben aufgehalst hat. Dabei aber immer tipptopp die Klamotten.
Und dann laufen die und laufen die und laufen die.
Kälte,
Weitere Kostenlose Bücher