... dann eben Irland (Das Kleeblatt)

Jahrhundert doppelt so viele Einwohner wie heute hatte.“
    „Unglaublich . Und erschreckend, wenn man bedenkt, welch wertvolle Ressourcen diesem Land damit verloren gegangen sind. Und noch erstaunlicher und bewundernswerter finde ich deswegen, welchen Stellenwert Irland heutzutage im internationalen Maßstab einnimmt.“
    „ Und wir sind stolz darauf.“
    „ Vollkommen zu Recht. Hat es auch in deiner Familie Auswanderer gegeben?“
    „ Die gab es in jeder Familie. Doch glücklicherweise hat sich der Trend umgekehrt und immer mehr, vor allem junge Leute, kommen aus dem Ausland zurück, um ein Stück vom Kuchen des Celtic Tiger abzufassen. Irgendwo muss es alte Bücher geben, in denen nicht bloß die Geschichte von Sean Garraí festgehalten wurde, sondern ebenfalls die Baupläne des alten Schlosses und die Ortschronik von Killenymore mit dem Register seiner Einwohner zu finden sind.“
    Suse hoffte, ihre leicht geröteten Ohrenspitzen würden nicht verraten, dass sie die Familienchronik längst entdeckt hatte. Zwar war sie aus den Dutzenden von technischen Zeichnungen und Abbildungen nicht sonderlich schlau geworden, aber sie vermutete, dass es eine ganze Menge unter der Erde von Sean Garraí zu entdecken gab.
    „Hast du die Bücher s elbst gesehen?“
    „ Er war nicht sehr gesprächig, trotzdem kam es mitunter vor, dass Lord Tomás davon erzählte. Das Haus wurde auf den Grundmauern einer Burg errichtet, die vor langer Zeit bei einem Brand fast völlig vernichtet wurde. Das Kellergewölbe dagegen ist mindestens sechshundert Jahre alt.“
    „Dann gibt es dort bestimmt noch mit Ketten rasselnde Gespenster.“ Suse schüttelte sich und senkte die Stimme. „Und dunkle Verliese. Oder Folterkammern.“ Ein ähnlicher Gedanke war ihr bereits gekommen, als sie über die Geheimtreppe von der Bibliothek in ihr Zimmer gegangen war. Sie beobachtete, wie sich die blonden Haare auf ihrem Arm schaudernd aufstellten. „Vielleicht kann mich Matt’n ja mal mit nach unten nehmen und ein bisschen rumführen. Ist bestimmt schön gruselig. Sollte er eines Tages wieder aus der Versenkung auftauchen, werde ich ihn fragen, ob er mir die Katakomben zeigt.“
    „Bis lang hat er wenig Interesse für seine Vorfahren gezeigt. Dabei kennt fast jeder Blaublütige seine Ahnenreihe auswendig, zumindest bis zur Urgroßmutter väterlicher- und mütterlicherseits. Genauso sollte ihm bekannt sein, wann und wofür sie geadelt wurden.“
    „ Interessant, doch so richtig überlebenswichtig erscheint es mir auch wieder nicht. Zumal Matt’n … ich meine, er ist zwar Graf, nichtsdestotrotz lebt er ziemlich normal, wie jeder andere Mensch eben auch. Er geht arbeiten und schmeißt seinen Haushalt und … Na ja, zumindest in Deutschland ging er in der Masse unter.“
    Was selbstverständlich eine glatte Lüge war – Gott möge ihr verzeihen. Selbst eine verschrumpelte Mumie hätte sich nach dem überragenden Matthias Emanuel umgedreht und sich die Finger abgeleckt.
    „Darauf kommt es in meinen Augen gar nicht an.“
    „Ob er einer Arbeit nachgeht oder ein Ignorant ist?“
    „Ob er dem Schwertadel oder lediglich dem Briefadel angehört.“
    Davon hatte sie schon gelesen, dachte Suse mit Genugtuung, der umfangreichen Bibliothek des Grafen sei Dank. Wer nachweislich schon vor dem Jahr 1350 aristokratisch war, zählte zum alten Schwertadel. Im 16. Jahrhundert begann dann die Verleihung der Adelstitel durch einen Adelsbrief, deswegen Briefadel, wie es der Fall bei dem verdienten Soldaten war, welcher von Oliver Cromwell zum ersten Earl of Oldfield ernannt wurde.
    „Entscheidend ist in meinen Augen einzig und allein, wo das Herz eines Menschen zu Hause ist. Ich zum Beispiel fühle mich da zu Hause, wo meine Familie lebt, egal ob ich hier geboren wurde oder nicht. Seit vierzig Jahren ist Sean Garraí mein Zuhause, sodass es vollkommen gleichgültig ist, ob das Land dem Grafen gehört oder den Ó Briains. Im Übrigen konnten sich unsere Leute nie über die Lords auf diesem Land beklagen. Soweit ich weiß und man den Erzählungen und Legenden der Alten glauben darf, haben sich die Oldfields immer um das Wohl ihrer Untertanen und Schutzbefohlenen gesorgt und ihre Pächter und Bediensteten wie Menschen behandelt. Als es auf das Ende der Famine zuging, hat der damalige Graf sogar Hypotheken auf sein Haus und die Ländereien aufgenommen, um den Engländern das Korn abzukaufen, welches von Irland nach England exportiert werden sollte. Das hat ihn beinahe in