... dann eben Irland (Das Kleeblatt)
während sich die anderen Steine ringsum demütig den Kräften der Natur gebeugt hatten.
Sie träumte mit offenen Augen und ließ sich vom Zauber der Stille gefangen ne hmen. Selbst der Wind schien vor Ehrfurcht den Atem anzuhalten. Das erste Mal seit langer Zeit fühlte sie sich ruhig und friedlich, gerade so als hätte ein geheimnisvolles Kraftfeld ihr Inneres ins Gleichgewicht gebracht. Die einzigen Geräusche kamen von den Grillen und dem Wind, der sich in den Zweigen der Bäume verfing und mit dem zarten Grün der Blätter spielte. Die Nacht war viel zu schön, um nach Hause zu gehen. Die Erde atmete noch die Wärme des vergangenen Tages aus und versprach im gleichen Atemzug einen neuen Morgen.
Sie lachte freudlos auf. Nach Hause. Wie unbedacht man diese Worte oft aussprach! Nach Hause! Wo war das?
Sie hatte kein Zuhause mehr.
Der Mond kletterte gemächlich hinter dem Hügel auf der anderen Seite des Dorfes die Himmelsleiter empor. Sie liebte den runden Kerl, der aus sicherer Entfernung den Überblick über das Treiben auf der Erde behielt. Beschützer der Liebenden und Träumenden, Begleiter der Einsamen und Verlorenen. Tröster. Mit seinem sanften Licht goss er einen hellen Pfad über das Wasser der Teiche. Er schien sie aufzufordern mitzukommen.
Ich kann dir zeigen, wonach du s uchst. Hab Mut und vertrau mir.
Verzückt lauschte sie der lockenden Stimme. Hatte ihr der Dicke eben zugezwinkert? Sein gütiges Gesicht beschwor Erinnerungen herauf und weckte Schmetterlinge in ihrem Bauch. Erinnerungen an ihre erste Reise auf dem Massengutfrachter „Fritz Stoltz“.
Als sei es erst gestern gewesen, sah sie sich neben dem Decksmann Ronny Skujin in einem der Rettungsboote liegen. In einer lauen Nacht wie dieser hatten sie beide zu dem vom Vollmond erhellten Himmel geschaut. Und während sie sich, in seinen Arm gekuschelt, an Ronny wärmte, hatte sie seinen sehnsuchtsvollen Geschichten von der Unendlichkeit der Sterne, der Liebe und der Hoffnung gelauscht.
Dass am nächsten Morgen ausgerechnet Adrian derjenige war, der sie dabei beobachtete, wie sie übernächtigt und vollkommen zerzaust vom Bootsdeck herabkletterten, war eine andere Geschichte.
Adrian. Ihr schweigsamer Adrian mit den sprechenden Augen. Viel zu ernsthaft in jungen Jahren schon. Nein, nicht verbittert, eher resigniert. Desillusioniert. Er hatte damals nichts gesagt und erst ein Jahr später zu fragen gewagt, was in jener Nacht zwischen Ronny und ihr passiert war. Nichts natürlich. Und Adrian hatte ihr ohne Vorbehalte vertraut, genau so, wie sie ihm geglaubt und vertraut hatte.
Sie liebte ihn noch immer so sehr, dass ihr das Herz wehtat.
„Wo bist du“, hörte sie sich heiser fragen.
Die Nacht gab ihr keine Antwort, sondern verspottete sie nur mit ihrem Schweigen. Sie stand auf und rief seinen Namen, hörte ihn über die Hügel treiben und als schwaches Echo zu ihr zurückkehren.
I n just dieser Sekunde machte sie im fahlen Silberlicht eine schlanke Gestalt aus, die sich ihr lautlos und mit fließenden Bewegungen näherte. Sie erkannte das schmale, fein gezeichnete Gesicht, obwohl es im Schatten verborgen lag. Nebelschwaden umhüllten ihn wie ein Feenmantel. Voller Sehnsucht und Trauer streckte sie die Hand nach ihm aus und flüsterte seinen Namen. Er nickte und lächelte ihr zu.
Sie saß vollkommen ruhig und wagte kaum zu atmen. Sie war nicht bereit , ihre Träume gegen die Wirklichkeit einzutauschen. Solange sie hier blieb, umgeben von dem Zauber der uralten Steinkreuze und der Stille der Nacht, gehörte er ihr. Für immer ihr.
9 . Kapitel
„ Hi , Matt’n“, grüßte sie ihn völlig aufgekratzt. Sie musste ihren Bauch einziehen, um sich an dem Hünen vorbei zu quetschen, der reglos und mit starrem Blick die Tür blockierte. Als er nichts erwiderte, zuckte sie die Schultern. Na, dann eben nicht!
Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie kalt es mit einem Mal geworden war. Jetzt hielt sie die Arme um ihren Körper geschlungen, um sich zu wärmen. Ihr Magen knurrte laut vernehmlich , also steuerte sie schnurstracks die Küche an, hielt jedoch inne, weil sie hinter sich eine ruckartige Bewegung wahrnahm.
„Himmelherrgott, Susanne! Wo warst du?“, stieß er atemlos hervor.
„Oh! Was für ein Glück, e r kann sprechen.“
Sie hörte ihn aufgebracht grunzen, konnte sich allerdings nicht entscheiden, ob das als schlechtes Zeichen zu deuten war oder noch viel Schlimmeres ankündigte.
„Und da soll mal jemand behaupten, es würde
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