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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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siehst aus, als ob du gleich zusammenklappst.«
    »Ihr kapiert es einfach nicht.« Ich dränge Dennis weg von der Tür.
    »Verzeih uns, wir sind bloß Männer. Sehen wir uns bei der Beerdigung? Ich bringe Blumen mit.«
    »Übrigens, nur damit du es weißt: Lina hat weiße Lilien gehasst!«, fauche ich zwischen den Zähnen durch.
    Dennis sieht mich erstaunt an. »Oh, das wundert mich. Ich dachte, sie würde sie lieben.« Er zögert. »Tut mir leid, das zu sagen, aber Ruby, vielleicht kanntest du deine Schwester doch nicht ganz so gut, wie du denkst?« Er schließt die Tür ganz sanft hinter mir.
    Wie ein Volltrottel stehe ich in dem verspiegelten Aufzug. Dennis’ letzte Worte lodern durch meinen Kopf, weil er verdammt noch mal recht hat. Ja, ich habe Lina seit dem letzten Sommer nicht gesprochen, ja, ja, ja. Aber trotzdem weiß ich, dass sie ermordet wurde, und ich werde es beweisen!
    Ich lehne mich erschöpft an die Wand des verspiegelten Aufzugs, warum will das niemand außer mir wahrhaben? Oder bin ich einfach nur eine Idiotin, die gegen Windmühlen kämpft, nur weil ich ihr diese im Nachhinein betrachtet lächerliche Lappalie nicht verzeihen konnte?
    Der Aufzug stoppt. Einfach so, mittendrin, mit einem harten Ruck. Ich schließe für einen Moment die Augen. Bitte, nicht! Bitte, nicht jetzt. Ich suche den Notknopf. Dann geht das Licht aus.
    Wie gut, dass mir enge Räume keine Angst machen. Trotzdem erinnere ich mich plötzlich an alle Horrorfilme, in denen Aufzüge eine Rolle spielen. Mir fällt ein, Feuer oder Rauchentwicklung lässt Aufzüge stoppen, oder ein Kurzschluss. Und ein Kurzschluss kann auch dafür sorgen, dass der Aufzug in den Keller rast und dort in tausend Stücke zerbirst.
    Von wegen, man muss nur warten, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben! Ich sehe immer noch nichts und es leuchtet auch kein roter Notknopf auf. Ich habe zwar mit den Fingern die Wand nach den Schaltern abgetastet, aber dann ist mir wieder eingefallen, dass ich es damit noch schlimmer machen könnte, wenn es sich wirklich um einen Kurzschluss handeln sollte. Immer wieder blähe ich meine Nasenflügel, um frühzeitig eventuellen Brandgeruch zu riechen, aber es dringt nur Angstschweiß in meine Nase. Ich versuche, möglichst gleichmäßig zu atmen, aber jetzt wird mir doch schlecht. Ich rutsche mit dem Rücken an der verspiegelten Wand herunter und setze mich auf den Boden. Nein, nein, ich habe keine Angst.
    Ja, ich bleibe ganz ruhig.
    Nutze die Zeit für etwas Sinnvolles, rede ich mir gut zu. Was ist da eben oben passiert? Warum war Alex so außer sich, als er das Foto gesehen hat? Was geht hier vor sich, was er mir verschweigt?
    Plötzlich klingelt mein Handy in der Tasche und ich frage mich, wie blöd ich eigentlich sein kann. Erstens kann ich damit Hilfe holen und zweitens ist es beleuchtet.
    Ich taste mit fliegenden Händen danach, da geht mit einem Mal das Licht an und der Aufzug setzt sich in Bewegung, als wäre nie etwas gewesen.
    VII
    Doch wenn ihr Standhaftigkeit zeigt und redlich handelt, fürwahr, das ist eine Sache fester Entschlossenheit.
((3:186))
    Wieder war er zu ungestüm, zu ungeduldig, er hasst sich für die Fehler, die er unablässig macht. Es ist nur gerecht, dass er bis auf die Haut nass ist und von Minute zu Minute mehr friert. Er denkt an Kimoni und wünscht sich, er könnte daran glauben, dass Kimoni warm im Garten des Paradieses sitzt, sich an Granatäpfeln labt und von schönen Jungfrauen gesalbt wird.
    Wenn sie doch nur niemals zu diesem elenden Arzt gegangen wären! Aber sie hatten Vertrauen gehabt. Oder vielmehr war es Kimoni gewesen, der Vertrauen zu ihr gehabt hatte.
    Doch ihre heiligen Eide waren einen Dreck wert gewesen. Nichts in diesem Land war umsonst. Im Gegenteil, der Preis, den man für Gratisangebote zahlen musste, konnte das Leben kosten.
    In seinen Eingeweiden brennt das Feuer aus Schmerz und Einsamkeit und die einzige Möglichkeit, diese Flamme zu ersticken, besteht in seiner Rache. Doch dann hört er wieder Kimonis Stimme, der davon spricht, wie dumm Rache ist. Manchmal hat er das Gefühl, er wird davon noch ganz verrückt. Diese Stimmen in seinem Kopf, sie streiten und sie werden immer lauter. Er fürchtet, seine Ahnen haben ihm ihre Dämonen geschickt. Nur noch selten verstummen sie und lassen ihn in Frieden, so wie heute Morgen, als er sie auf der Schaukel gesehen hat.
    Doch er wird nicht schlau aus ihr, es kommt ihm so vor, als würde sie ihn an der Nase

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