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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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mir zusammengereimt habe, völlig lächerlich vor. Der reinste Schwachsinn. Du könntest noch den Notausgang suchen, überrede ich mich, um nicht ganz umsonst hergefahren zu sein. Also stromere ich durch die Tiefgarage. Was für ein schrecklicher Ort, um zu sterben, denke ich und folge den grünen Schildern zum Notausgang. Dann wird mir klar, dass es hier, auch wenn es eine alte Tiefgarage ist, sicher viele Notausgänge gibt. Ich gehe zurück zum Aufzug, muss einem fetten SUV ausweichen, der an mir vorbeiprescht, als wären wir hier beim großen Rennen von Monza, und während ich wegspringe, sehe ich aus den Augenwinkeln, dass zwei Menschen aus dem Notausgang kommen. Und wenn es nicht zwei Afrikaner gewesen wären, hätte ich sicher auch kein zweites Mal hingeschaut.
    Aber nach allem, was passiert ist, bin ich sofort hellwach. Ein großer massiger Mann im hellgrauen Anzug geht neben einer zierlichen Frau im blauen Kittel. Die Frau schleppt einen schweren Putzeimer, dessen Henkel in den rosa Gummihandschuhen hin und her rutscht. Sie wird von dem Mann zur Eile angetrieben. Der Eimer entgleitet ihrer Hand, der Mann flucht und dreht sich zornig um, sodass ich sein Gesicht sehen kann. Ein Gesicht mit einer großen Wunde.
    Entsetzt schnappe ich nach Luft und verstecke mich sofort hinter einem Auto. Mein Körper reagiert viel schneller als mein Gehirn, in dem sich die Gedanken überschlagen. John hat mir gestern gesagt: »Du bist von einem Schwarzen angegriffen worden, das stimmt. Aber nicht von mir.« Und jetzt hat dieser Schwarzeeine lang gezogene tiefe Wunde mitten im Gesicht, genau so eine wie die, die ich meinem Angreifer in Riem mit dem Ring versetzt habe. Mein Körper spürt, dass das kein Zufall ist, und jede Faser schreit danach wegzurennen, aber ich darf nicht. Ich habe es bis hierher geschafft, jetzt gebe ich nicht auf. Lina, denke ich, das bin ich dir schuldig. Ich werde an ihm dranbleiben und diese Chance nutzen. Es ist vielleicht die einzige, die ich habe.
    Zu meinem Glück kommt die Frau, die den Eimer jetzt wieder in der Hand trägt, kaum voran. Sie kann nur langsam gehen. Mein Angreifer macht keine Anstalten, ihr die Last abzunehmen. Gemeinsam laufen sie quer durch die Garage, und erst jetzt sehe ich, dass hinter einer Waschbetonsäule eine Tür ist, die ich vorhin gar nicht bemerkt habe. Sie verschwinden dahinter und ich bleibe stehen, unschlüssig, ob ich es wirklich wagen soll, ihnen dorthinein zu folgen. Ich lese das Schild an der Tür: Lagerräume Il Corvo, Betreten verboten . Unten drunter noch mal ganz fett: Hier kein Zugang zum Hotel.
    Ich gebe mir einen Ruck, dann drücke ich ganz vorsichtig die Klinke herunter, obwohl alles in mir sich dagegen sträubt, ich will abhauen, flüchten vor dem Mann, der meinen Kopf so lange in den Schlamm gedrückt hat, bis ich nicht mehr atmen konnte.
    Ich spüre das Adrenalin in meinem Körper, als ich durch den winzigen Spalt schaue, aber dann atme ich auf. Hinter der Tür ist ein Gang und er ist leer. Die Wände sind bundeswehrgrün gestrichen, die Farbe ist bereits abgeblättert, der Linoleumboden ist grauschwarz. Meine Augen müssen sich erst an das schummrige Licht gewöhnen, denn nur wenige der Neonröhren an der Decke funktionieren. Die Luft ist noch stickiger als die in der Tiefgarage. Der Mann und die Frau im Kittel, sie müssen hier irgendwo verschwunden sein, aber wohin?
    Es gehen bestimmt vier oder fünf Türen ab.
    Okay, Ruby, du wirst verdammt noch mal jede dieser Türen öffnen und schauen, was dahinter los ist. Komm schon! Bevor ich es mir anders überlegen kann, öffne ich die erste der Türen.
    Sprachlos starre ich in den von leisem Gemurmel erfüllten Raum. Es ist ein fensterloses, winziges Zimmer. Nein, falsch, es ist bestimmt so groß wie das von Lina, aber der Unterschied ist der, dass hier drin mindestens zwanzig Stockbetten stehen, in denen unfassbar viele Frauen und Kinder sitzen. Alle sind schwarz und höchstens so alt wie ich, viele deutlich jünger.
    Zwischen den Betten sind Wäscheleinen gespannt, auf denen feuchte Kleidungsstücke hängen, die mit ihrer Feuchtigkeit den Raum noch klammer machen. Es riecht so stark nach voller Biotonne, Frittierfett und billigem Deospray, dass ich unwillkürlich die Luft anhalte.
    Alle Köpfe drehen sich zu mir, sie erstarren mitten in ihren Bewegungen, entsetzte Augen sind auf mich gerichtet, das Gemurmel hört auf und es wird totenstill. Ich muss an Dornröschen denken und daran, wie der Koch, während

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