Dann fressen sie die Raben
Trotzdem erklärt das noch lange nicht, was er getan hat. Und entschuldigen tut es das sowieso nicht.
»Oh ja, allen tat es so leid«, sagt Alex. »Mich haben sie dabei allerdings vor lauter Mitleid vergessen. Kein Mensch hat mich an dem Tag abgeholt. Oliver war in Ghana auf einem wichtigen Ärzte-ohne-Grenzen -Einsatz.«
John sagt sehr ruhig: »Das muss wirklich schlimm gewesen sein.«
Alex wirft ihm einen Blick zu, der eine Mischung aus Abscheu und Verachtung ist. »Das siehst du ganz falsch. Denn für den Mörder meiner Mutter war es doch noch viel schlimmer.« Der zynische Tonfall ist so ätzend, wie ich es selbst bei Alex noch nie gehört habe. »So ein armer, suchtkranker Neger. Ein Flüchtling aus Angola, der sich jeden Tag besaufen muss, um das Leid seiner Kindheit vergessen zu können. Einer, dem wir gestattet haben, legal in Deutschland zu bleiben. Leben wir nicht in einem großartigen Land?«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. John räuspert sich. »Was für ein schreckliches Unglück«, entgegnet er. »Es wird sicher sehr lange dauern, bis die Flügel der Zeit deine Trauer davongetragen haben.«
Alex starrt John an, als hätte er Kisuaheli gesprochen.
Ich nehme mich zusammen. »Und deine Trauer hat dich dazu gebracht, einen Sklavenhandel aufzuziehen?«
»Meinem Vater war der Tod von Mutter egal. Ich war ihm gleichgültig, mir ging’s ja gut. Ich hatte alles. Ihn haben immer nur die Unterprivilegierten anderer Länder interessiert. Das ging so weit, dass er Maman nicht mal eine ordentliche Beerdigung gegönnt hat, er ließ sie verbrennen und in einem anonymen Urnengrab beisetzen. Sie hätte sich das gewünscht, hat er behauptet. In Wahrheit wollte er es so. Meine Mutter war Französin und praktizierende Katholikin, aber das war ihm egal. Wichtig war ihm dagegen, dass man von dem Geld, das er für den Grabstein spart, in Afrika eine ganze Schule bauen kann. Mich hat er gar nicht gefragt. Ich hätte das alles gerne bezahlt und mich um das Grab gekümmert. Sie dort besucht. Ich habe mich noch nie gut mit ihm verstanden, aber ab diesem Moment habe ich ihn gehasst. Und mich gefragt, was ich tun könnte, um seine Arbeit zu neutralisieren.« Alex hält einen Moment inne. »Es war beinahe zu leicht, ich musste nur die Illegalen dort abfangen, wo er sie behandelt hat. Ich bin ihm gefolgt und wusste dann, wo er an dem Abend praktizieren würde. Erst wollte ich die Leute nur einschüchtern und dafür sorgen, dass sie abgeschoben werden, aber dann hat Dennis Wind von meiner Aktion bekommen und hatte die Idee, dass man mit ihnen Geld verdienen könnte.« Alex hat sich in Rage geredet, er wird immer schneller. »Allein der Gedanke daran, was mein ehrenwerter Vater dazu sagen würde, hat es für mich lohnend gemacht. Das Geld war ein angenehmer Nebeneffekt. Ich habe meiner Mutter ein Grab auf dem Nordfriedhof gekauft, einen wunderschönen Grabstein aus rotem Granit und diese Wohnung.« Er schweigt einen Moment, dann holt er die Kette mit dem @-Zeichen aus seinem T-Shirt und reißt sie mit einem Ruck ab. »Die Kette war meine Idee. Quasi ein Erkennungszeichen für alle, die im inneren Kreis, bei den wahren Alphatieren dabei sind.« Er wirft sie mitten auf den Tisch, wo sie quecksilberböse im Licht blinkt.
»Aber dann ist alles aus dem Ruder gelaufen. Dennis konnte den Mund nicht voll genug kriegen, er wollte immer mehr und mehr. Musste seinem Alten beweisen, was er alles draufhat, auch wenn er die Schule wieder nicht schaffen wird.«
Ich kann es nicht fassen, was ich da höre. Dennis hat Leute versklavt, um zu zeigen, was er draufhat?
»Olivers Gott ist die heilige verlogene Nächstenliebe«, fährt Alex fort. »Der Gott von Dennis’ Vater aber ist der ehrliche goldene Mammon. Er hat einen riesigen Putz- und Hausmeisterservice, der ganze Wohnblöcke in München reinigt. Und er hatte nichts dagegen, sich von uns mehr und mehr Leute verdealen zu lassen. Gretchens Vater war auch nicht abgeneigt. Die Pizzerien brauchten auch jede Menge Spüler und billige Köche.«
Gretchens Vater? Hängt der auch mit drin? Ich erinnere mich, wie er mich angesehen hat, als ich Gretchen in Riem getroffen habe. Und was ist mit Gretchen? Okay, sie war auch auf den Gala-Fotos, aber gehört sie deshalb zu den Kettenträgern, dem inneren Kreis? Ich kann mir das nicht vorstellen, aber haben mich nicht alle in München verarscht? Niemand ist so, wie er vorgegeben hat zu sein.
»Das Ganze lief so gut, dass andere Zeitarbeitsfirmen auf
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