Dann fressen sie die Raben
er mich hypnotisieren. Ich zucke zurück, als wäre seine Hand glühend heiß. Ich ertrage es nicht, wenn er mich anfasst.
»Ruby, ich schwöre dir bei dem Grab meiner Mutter, dass ich Lina nicht angerührt habe. Ehrlich gesagt glaube ich wirklich nicht, dass sie überhaupt jemand umgebracht hat.« Er lässt meine Hand los und geht zum Kühlschrank. »Wollt ihr etwas trinken?« Er wartet unsere Antwort nicht ab und stellt vor jeden von uns eine Wasserflasche. Ich spare mir ein Dankeschön, öffne sie sofort und trinke sie in einem Zug leer.
Alex räumt die Flasche weg und bringt mir noch eine. »Lina war nicht blöd. Sie hätte gemerkt, wenn ihr jemand Wodka mit Schlaftabletten verabreicht. Wie hätte Amari ihr jemals so nahe kommen können?«
»Er hat es bei mir auch geschafft.«
»Das ist etwas anderes. Dich konnte er überfallen, aber Lina wurde nicht überfallen.«
Das stimmt. Mit wem hat Lina also so arglos getrunken und gefeiert? Ich schaue fragend zu John.
John erwidert meinen Blick und sein Gesicht wird weich, so wie Mam aussieht, wenn sie Babys anschaut. Er wendet mir auch seinen Körper zu, der in Olivers Sachen merkwürdig verkleidet wirkt. »Ruby, deine Schwester war gut zu uns. Deine Schwester hat unser Leben mit Licht erfüllt, vor allem das von Kimoni.«
Er dreht sich zu Alex. »Ja, ich war in Kimonis Tod gefangen. Aber ich habe meinem Schmerz nicht erlaubt, sich auf Unschuldige auszubreiten. Im Gegensatz zu dir. Feigheit kann dir zwar manchmal das Leben retten, aber ich glaube, die Erinnerung daran wird dich aushöhlen wie Termiten einen Baumstamm.«
»Was soll das bedeuten?«, frage ich.
»Alex?« John klingt unerwartet sanft, als ob er mit einem Kind sprechen würde.
Mein Stiefbruder macht mit seiner rechten Hand eine abwehrende Bewegung, räuspert sich dann. »Ich war dabei, aber ich konnte nichts tun.«
Mir läuft eine Gänsehaut über den Rücken. »Du meinst Lina …«
»Nein, ich war bei Kimonis Tod dabei. Amari wollte aus ihm herausprügeln, wo er die Beweise versteckt hat und wer noch davon wusste. Es war nicht geplant, dass er dabei sterben würde.«
»Kollateralschaden, klar.« Ein ekelhafter Geschmack steigt meine Kehle hoch. Ich denke daran, wie ich Alex das Bild des toten Kimoni gezeigt habe. Ich stehe auf, nehme meine Wasserflasche und bin versucht, sie ihm ins Gesicht zu schütten. Aber das wäre nur eine total hilflose Demonstration, ein Eingeständnis meiner Unfähigkeit zu begreifen, was mein Stiefbruder alles getan hat.
»Ruby, glaub mir, ich konnte nichts tun. Dennis hat mich festgehalten, als ich dazwischengehen wollte. Er ist leider stärker als ich. Und es tut mir ja auch leid.«
John hat Tränen in den Augen. »Tut dir auch leid, wie du mich gezwungen hast, seine Leiche wegzuschaffen? Mein Bruder hat nicht nur keinen Grabstein, nein, er hat nicht mal ein eigenes Grab!« Er richtet seinen Blick auf mich. »Als ich von der Arbeit kam, war Kimoni schon tot. Und Alex hat einfach zu mir gesagt: Schaff die Leiche von deinem Bruder fort. Und wenn dir dein Leben lieb ist und du deinen Job behalten willst, dann hältst du die Klappe. Andernfalls geht es dir wie deinem Bruder. Sie haben mir dann einen schwarzen Plastiksack gegeben und drei Männer, die mir helfen sollten.«
Ich habe keine Worte mehr. Das ist alles so schrecklich, dass jede Antwort banal klingen würde.
»Ruby, ich habe das nicht gewollt«, sagt Alex.
»Ich glaube, eine Kakerlake ist noch mutiger als du. Auf jeden Fall hat sie mehr Moral.«
»Du hast recht.« Jetzt sieht Alex plötzlich anders aus, grau im Gesicht, jeglicher Spott ist aus den Zügen wie weggewischt. »Ich werde mich der Polizei stellen und gegen Dennis und Amari aussagen. Ich werde das alles irgendwie gutmachen.«
»Unmöglich«, John klingt immer noch sanft, »mein Bruder ist tot.«
»Und meine Schwester ist auch tot.«
»Aber mit Linas Tod haben wir nichts zu tun. Ich habe Dennis und Amari an dem Abend, als Lina die Tabletten genommen hat, in einer Pizzeria von Gretchens Vater getroffen. Ich habe ihnen eröffnet, dass ich endgültig aussteige und es für mich vorbei ist. Aber Dennis hat mir gedroht, er würde dafür sorgen, dass es so aussieht, als hätte ich Kimoni ermordet. Sie würden mich nur aussteigen lassen, wenn ich die Beweise, die Kimoni gehabt hatte, herbeischaffen würde.«
»Ich glaube dir kein Wort.« Neben Alex ist Käpten Sparrow ein Heiliger.
»Und was ist mit mir?« John wischt die Tränenspur von seinem
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