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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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U-Bahn Richtung Odeonsplatz und dort in die U3 zum Bonner Platz um.
    Während der Fahrt fällt mir auf, wie viele Menschen John missbilligende Blicke zuwerfen oder ihn anstarren, und ich bewundere das stoische Schulterzucken, mit dem er das an sich abperlen lässt wie Wassertropfen auf einem Regenmantel. »Man gewöhnt sich daran«, murmelt er, als ihm klar wird, worüber ich nachdenke. »Und nicht alle meinen es böse. Wir fallen hier einfach auf. Glaub mir, in einem afrikanischen Dorf würdest du als Weiße mit ähnlichen Blicken bedacht werden.«
    Er lächelt mich zaghaft an und es wirkt auf mich so, als wäre er selbst über dieses fremde Gefühl erstaunt. Leider verschwindet sein Lächeln sofort hinter seinem schmerzhaft verzogenen Mund. Als wäre es verboten. Aber genau das berührt etwas in meiner Brust, es fühlt sich an, als würde jemand meinem Herz winzige blitzende Stromschläge verpassen und den Puls damit völlig durcheinanderbringen.
    Trotzdem muss ich ihn für eine Weile loswerden, denn ich möchte Linas Sachen allein holen, mich in aller Ruhe damit beschäftigen und dann entscheiden, was weiter passieren soll. Niemand soll mich dabei stören.
    Nicht einmal John, mein Retter.

24. Kapitel
    John und ich sind schon ausgestiegen und auf dem Weg zur Mainzerstraße, als mir klar wird, wie kurzsichtig meine Überlegungen sind. Ich kann es nicht riskieren, auch nur in die Nähe der Wohnung zu kommen und von meinen Eltern entdeckt zu werden.
    Denn wenn ich Pa alles erzähle, dann ruft der sofort die Polizei und die Flüchtlinge würden auffliegen, was ihm, solange er wütend ist, völlig egal wäre, seine Meinung ist da ganz klar, Blut ist dicker als Wasser.
    Also kann ich nicht zu Frau Vogel. Abgesehen davon muss ich wissen, ob mein Stiefbruder wirklich der Kopf hinter allem ist und ob er Lina auf dem Gewissen hat. Ich wünsche mir sehr, dass er nicht so tief drinhängt wie Dennis. Besonders für Mam, die ja jetzt schon am Ende ist. Ich wage mir nicht vorzustellen, was mit ihr passiert, wenn sie erfährt, dass ihr Stiefsohn für den Mord an ihrer Tochter verantwortlich ist. Es würde sie vernichten.
    Nach dem, was Dennis mir heute angetan hat, traue ich mich natürlich nicht allein in Alex’ Wohnung, deshalb frage ich John, ob er mitkommt, auch wenn ich mich gut daran erinnern kann, wie hasserfüllt er allein auf Alex’ Stimme reagiert hat.
    »Dein Stiefbruder ist eine widerwärtige Hyäne«, sagt John prompt, begleitet mich dann aber doch zur Münchner Freiheit.
    Während wir dorthin laufen, fällt mir ein, dass ich ja jetzt das Handy von Dennis habe und meine Eltern wenigstens anrufen könnte. Gerade, als ich ihre Nummer wählen will, kommt mir eine Idee. Ich drücke die Wahlwiederholung, um zu hören, mit wem Dennis als Letztes telefoniert hat.
    Nach dem dritten Läuten zischt eine Frau ins Telefon. »Dennis, was willst du schon wieder? Dein Knecht ist nicht hier und jetzt lass mich gefälligst in Ruhe. Meine Schulden habe ich schon lange abbezahlt.«
    Es klickt. Aufgelegt. Ihre Stimme kam mir bekannt vor, aber sie war so wütend, dass ich nicht sicher bin, an wen sie mich erinnert. Während ich noch darüber nachdenke, tippe ich die Nummer von Mam ein. Es dauert nur eine Millisekunde, bis der Hörer abgenommen wird und Pa ins Telefon brüllt: »Ruby?«
    »Pa«, versuche ich es im sanftesten Hier-ist-deine-liebe-brave-Tochter-Tonfall , »mach dir keine Sorgen, mir geht es gut und ich komme gleich nach Hause, aber vorher muss ich noch etwas erledigen.«
    »Du bist wohl übergeschnappt! Ich sitze hier und mache mir die allergrößten Sorgen. Ich habe gerade mit Frau Koslowsky telefoniert. Du kommst sofort her, ich muss dir etwas Wichtiges sagen!«
    Ich verstehe ihn und ich liebe ihn nur noch mehr, weil er sich solche Sorgen macht, aber ich kann jetzt nicht kommen. Das sage ich ihm und lege mit schlechtem Gewissen auf. Danach suche ich in Dennis’ Handy nach der Festnetznummer von Alex und finde sie unter den Favoriten.
    Alex nimmt ab. »Dennis, wo steckst du denn? Was zum Teufel ist eigentlich los?« Ich lege schnell auf. Gut, Alex ist also wirklich zu Hause.
    Mittlerweile sind wir an der Münchner Freiheit angekommen, gemeinsam nehmen wir die Treppe nach oben, auch wenn ich bei jeder Stufe die Folgen des Überfalls und die Wunden an meinem Schienbein mehr merke und völlig außer Atem oben ankomme. Aber das ist immer noch besser, als sich dem steuerbaren und kameraüberwachten Aufzug auszuliefern. Nach

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