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Dann gute Nacht Marie

Titel: Dann gute Nacht Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Becker
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Herzens verließ Marie den Computer.
    Sie zog ihr Schlafshirt unter dem Kopfkissen hervor und ging ins Bad, um sich umzuziehen. Beim Zähneputzen ließ sie das Wochenende noch einmal Revue passieren und registrierte zufrieden, dass sie zwar vordergründig von ihrem Ziel weiter entfernt war als je zuvor, tatsächlich aber einen erheblichen Schritt vorwärtsgekommen war.
    In dieser Gewissheit und der Überzeugung, dass es sich bei der kommenden Woche mit ziemlicher Sicherheit um ihre letzte Arbeitswoche handeln würde, ging sie an diesem Herbstsonntag zuversichtlich in ihr Bett. SIE KÖNNEN DEN COMPUTER JETZT AUSSCHALTEN. Welch beruhigende Aussichten!

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    DOKUMENT4. Am nächsten Morgen erwachte Marie ungewohnt ausgeruht und machte sich nach einer schnellen Tasse Kaffee deutlich gelassener als sonst auf den Weg ins Büro. Noch vor zwei Tagen hatte der Gang zur Arbeit sie jedes Mal Überwindung gekostet, obwohl sie den Job bei dem renommierten Softwarehersteller nun schon seit acht Jahren hatte. In der ersten Zeit war es immer abwechslungsreich und spannend gewesen. Ihr Chef hatte sie gefordert und ihre Ideen und Eigenständigkeit honoriert.
    Doch nach etwa drei Jahren war er in die Zentrale befördert und Marie mit Schmidt gestraft worden. Bei ihm war Eigeninitiative nicht gefragt, Ideen wurden im Ansatz abgeblockt. Also war sie nach etwa einem Jahr resigniert dazu übergegangen, Dienst nach Vorschrift zu tun, was die Arbeit nicht gerade spannender machte. Trotzdem hatte sie es in all den Jahren nicht geschafft, sich bei einer anderen Firma zu bewerben und die Stelle zu wechseln.
    Was heute auf dem Weg ins Büro auf einmal anders war, konnte Marie nicht genau sagen. Vermutlich war es die Gewissheit, dass sie sehr bald schon in eine völlig neue Daseinsform wechseln würde, in der sie sich mit Schmidt und seinen Schikanen endlich nicht mehr beschäftigen musste. Es war wieder ein schöner sonniger
Herbsttag mit blauem Himmel und kleinen, unbedeutenden weißen Wölkchen. Mit buntem Herbstlaub, das in der Sonne glänzte und den grauen Asphalt mit einem leise raschelnden, farbenfrohen Teppich bedeckte. Und Marie registrierte es gern. SPEICHERN.
    Im Büro angekommen, holte sie sich einen zweiten Kaffee, setzte sich damit an ihren Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Im E-Mail-Eingang fand sie ein Rundschreiben über die bevorstehende Betriebsversammlung und den überschwänglichen Dank eines Kunden, dem sie noch am Freitagabend telefonisch bei einem Software-Problem aus der Patsche geholfen hatte. DRUCKEN. Sicher war ein derart schmeichelhaftes Schreiben in den Hinterlassenschaften noch irgendwo angemessen zu platzieren, dachte Marie und verstaute den Ausdruck in ihrer Handtasche.
    Bei dieser Gelegenheit wollte sie gleich den E-Mail-Eingang ausmisten. Wer konnte schließlich wissen, ob in den nächsten Tagen noch Zeit dazu blieb. Ihre Konkurrentin Renate Möhring sollte nach ihrem Ableben keine Gelegenheit haben, in ihrer Korrespondenz zu schnüffeln, um Stoff für ihre mit Sicherheit üble Nachrede zu finden. Bei aller Freude, die die unerwartete Ausschaltung der Konkurrenz in ihr hervorrufen würde, würde sie sich das vermutlich nicht entgehen lassen.
    [email protected]. Die Nachricht vom Abteilungsleiter, sie werde sich für eine Eigenmächtigkeit verantworten müssen, wanderte sofort in den virtuellen Papierkorb. MARKIEREN. LÖSCHEN. Weitere Ermahnungen, die Herr Schmidt gerne immer wieder in E-Mail-Form von sich gab, ebenfalls. Erst jetzt, bei ihrer Aufräumaktion,
fiel Marie auf, dass er offensichtlich zu wenig Selbstbewusstsein hatte, um seine Kritik direkt an sie zu richten. Wahrscheinlich rührte daher auch seine Unzugänglichkeit bezüglich ihrer neuen Ideen zur Abteilungsoptimierung.
    In Gedanken versunken versah Marie eine Schmidt-Nachricht nach der anderen mit einer Markierung und klickte auf die Schaltfläche zu ihrer endgültigen Vernichtung.
    Auch Renate hatte ihr einige Male verschiedenste Anfeindungen per Mail zukommen lassen. RENATE. MÖ[email protected]. Sie sollte sich an ihren Seitenhieben nicht noch einmal weiden können. Schlimm genug war es immer wieder gewesen, nicht entsprechend antworten zu können. Marie hatte stets gewusst, dass sie mit jeder Reaktion nur Angriffsfläche für weitere Intrigen geboten hätte. MARKIEREN. LÖSCHEN.
    »Ja, sag mal, schläfst du jetzt auch schon am Vormittag vor deinem Computer, oder was?«
    Wenn man vom Teufel träumt … Renates Geschrei holte Marie auf

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