Dann gute Nacht Marie
dass ihre Überreste mit Sicherheit schon nach kurzer Zeit unversehrt gefunden wurden. Und am besten bestimmte sie den Finder gleich selbst, um übler Nachrede diesbezüglich vorzubeugen. Auch dieser Punkt musste eindeutig auf die To-do-Liste. Das Projekt »Lebensende« wurde immer umfangreicher. Wenn sie sich nicht beeilte, starb sie noch eines natürlichen Todes, bevor alles perfekt war. Und schließlich …
»Marie! Sag mal, träumst du?« Monis Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Die Frauen waren aufgestanden und warteten ungeduldig mit ihren Tabletts in der Hand neben dem Tisch auf eine Reaktion ihrer Kollegin. Marie hatte, ganz in Gedanken, nicht bemerkt, dass Essen und Gespräch bereits beendet waren. Eilig ergriff sie ihr Tablett mit dem leeren Teller und folgte den beiden zur Geschirrabgabe.
Zurück im Büro, beendete Marie ihre E-Mail-Zensur und widmete sich den Rest des Tages der Korrespondenz mit verschiedenen Kunden. Renate, die noch zwei Mal
mit ihren albernen Beanstandungen zu ihr kam, begegnete sie mit heiterer Gelassenheit. Allzu lange würde sie es nicht mehr ertragen müssen. UNTERSTREICHEN. Auf dem Heimweg ging sie in den Supermarkt, um den Versorgungsengpass in ihrem Kühlschrank doch noch einmal zu beheben. Schließlich konnte man zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit einem baldigen Abschluss des Projektes und infolgedessen mit der Einstellung aller lebenswichtigen Körperfunktionen rechnen. Im Gegenteil: Für den Erfolg des Projektes war geistige und körperliche Leistungsfähigkeit nicht unerheblich. Ausreichende Ernährung musste also vorerst gewährleistet bleiben.
Bei diesem Gedanken geriet Marie in Kauflaune. Im Hinblick auf den Nutzen für ihr Vorhaben legte sie die unterschiedlichsten Lebensmittel in den Einkaufswagen. Milch, Butter, Brot, Multivitaminsaft, Schokoküsse (als Nervennahrung unverzichtbar), verschiedene französische Käsesorten, italienische Salami, eine Flasche guten Rotwein, ein Glas schwarze Oliven. Nicht einmal, als die Kassiererin ihr den Preis nannte, war sie aus ihrer neu gewonnenen Ruhe zu bringen. Sparen hatte kurz vor dem Tod schließlich so gar keinen Sinn mehr, fand Marie. SPEICHERN.
Zu Hause angekommen verstaute sie die verderblichen Waren im Kühlschrank, richtete sich ihr Abendbrot auf einem Tablett an und setzte sich damit vor den Fernseher. Sie wollte die weltgeschichtlichen Ereignisse wenigstens in Form der Nachrichtensendung verfolgen, bevor sie sich wieder mit ihrer ganz privaten Geschichtsschreibung beschäftigte.
Der bayerische Ministerpräsident verteufelte die Bundesregierung für ihre Sicherheitspolitik.
Die Familienministerin kritisierte die deutsche Frauenpolitik.
Im Nahen Osten hatten Terroristen wieder einen Anschlag verübt.
Ein Hurrikan hatte in Florida eine Schneise der Verwüstung hinterlassen.
Eine Meldung reihte sich an die andere, ohne noch großartige Schockmomente hervorzurufen. Diese Tatsache war der schlimmste Aspekt der täglichen Horrormeldungen.
Sie öffnete ihr Glas Oliven und angelte sich mit spitzen Fingern eine Frucht nach der anderen aus der klaren Flüssigkeit. Eine jede schmeckte scheinbar besonders aromatisch und erschwerte es so, mit dem Essen aufzuhören. Erst, als sie das Glas geleert und einen kleinen Haufen Olivenkerne auf ihrem Teller angesammelt hatte, fühlte sich Marie einigermaßen gesättigt und imstande, das aufwendige Zensurverfahren ihrer Tagebücher fortzusetzen. Gerade, als sie mit dem Daumen den Aus-Knopf ihres Fernsehers berührte, um sich noch vor Ende der Nachrichtensendung aus dem Weltgeschehen auszuklinken, fiel ihr Blick auf das Foto links neben dem Kopf des Nachrichtensprechers, der soeben zum Verlesen der nächsten Mitteilung ansetzte. Es zeigte den von ihr noch vor zwei Stunden besuchten Supermarkt. Ihren Supermarkt. DETAILS.
Marie nahm den Finger vom Ausschaltknopf und stellte den Ton etwas lauter, um zu erfahren, mit welcher spektakulären Aktion es ihr Supermarkt geschafft hatte, in die bundesweiten Schlagzeilen zu kommen.
»… bei der Obduktion stellte man eine Vergiftung durch mit Pestiziden behandelte schwarze Oliven fest,
die in ebendieser Filiale gekauft worden waren. Der betroffene Supermarkt wurde nach Bekanntwerden der Nachricht in den frühen Abendstunden sofort geschlossen. Die Filialleitung teilte jedoch mit, dass trotz sofort eingeleiteter Vorsichtsmaßnahmen noch einige der vergifteten Produkte im Umlauf seien. Vor dem Verzehr wird dringend gewarnt …«
Da hatte sie
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