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Dann gute Nacht Marie

Titel: Dann gute Nacht Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Becker
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zögerte, als man ihr anbot, vertretungsweise für ein Jahr als Korrespondentin nach London zu gehen. Dass es mit einem gewissen Ulf zu dieser
Zeit gerade ernst zu werden drohte, hinderte sie ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie ihre Freunde und Familie eventuell ein Jahr nicht sehen würde. Alma war Einzelkämpferin, kämpfte jedoch nicht nur für sich, sondern jederzeit auch bedingungslos für ihre Mitmenschen. Unter anderem deshalb wurde sie von allen gemocht.
    Langsam und sorgfältig trennte Marie ihre Niederschrift über das erste Zusammentreffen mit Alma aus ihrem Ringbuch und drehte sie zwischen den Fingern zu einer engen Papierrolle zusammen. AUSSCHNEIDEN. Dann suchte sie aus einer Schublade ein hübsches Geschenkband heraus, wickelte es darum und fixierte es mit einer großen Schleife. Vorsichtig beschriftete sie das Röllchen in gut leserlichen Druckbuchstaben. »FÜR ALMA«. Diese erinnerungswerte Episode würde sie ihr vermachen. EINFÜGEN. Den Rest des Tagebuchs, der in der Hauptsache depressives Lamentieren über ihr Alleinsein enthielt, warf Marie in seiner Gesamtheit ins Altpapier. So etwas war definitiv nicht für die zu erwartenden fremden Augen bestimmt.
    Auf welche Weise konnte sie Alma ihr »Abschiedsgeschenk« zukommen lassen, ohne dass es in die falschen Hände fiel? Ließ sie es bis zu ihrem Tod in der Wohnung, konnte es passieren, dass jemand anders es an sich nahm. Wie aber sollte sie der Freundin das kleine Präsent erklären, wenn sie es jetzt schon überreichte? Marie wollte auf keinen Fall riskieren, dass ihr Vorhaben vor Abschluss des Projektes bekannt und vielleicht vereitelt werden würde. Alma würde keinesfalls tatenlos zusehen, wie sie sich in aller Ruhe das Leben nahm.
    Marie entschied sich dafür, Alma, so sie Zeit hatte, noch an diesem Abend aufzusuchen, um ihren Tagebuchauszug
unbemerkt an einer versteckten Stelle in deren Wohnung zu platzieren. EINFÜGEN. Die Tatsache, dass sie seit Almas Rückkehr vor drei Wochen nur telefoniert hatten, lieferte die perfekte Begründung für einen kurzfristigen Besuch. Vielleicht konnte sie bei dieser Gelegenheit auch gleich unauffällig wegen einer zukünftigen Bleibe für Kasimir vorfühlen.
    Und wenn sie den Kater nicht mit ins Grab nehmen wollte, war es wohl dringend an der Zeit, ihm sein tägliches Schälchen mit Futter zu geben. Vor lauter eigener Planung hatte Marie ganz vergessen, sich um ihren vierbeinigen Freund zu kümmern. Nun wurde sie von seinem energischen Maunzen aus ihren Gedanken um Alma gerissen. Schnell öffnete sie die Dose mit dem Katzenfutter und schob mit einer Gabel einige der Fleischstücke in den kleinen Napf. Kasimir stand ungeduldig miauend daneben und klopfte mit seiner Vorderpfote in regelmäßigen Abständen gegen die Außenwand der Blechschale. In den drei Jahren, die er nun bei Marie wohnte, hatte er einen derart schlechten Service nur äußerst selten erlebt. Marie entschuldigte sich ausführlich, während sie ihm sein Essen unter die Nase hielt und versprach, ihm als Entschädigung die beste Seniorenresidenz für seinen Lebensabend zu suchen.
    Trotz des ausgiebigen Frühstücks verspürte Marie nun auch etwas Hunger, als sie Kasimir dabei zusah, wie er in Windeseile den Inhalt seines Napfs verputzte und sich dann zufrieden die Schnauze leckte. Und da »Tod durch Verhungern« in keinem Fall zur Planung ihres Dahinscheidens gehörte, durchstöberte sie wenig später Kühlschrank und Gefrierfach nach einer geeigneten Mahlzeit. Sie nahm normalerweise ihr Mittagessen in der
Firmenkantine zu sich, und auch am Wochenende hatte sie schon seit Längerem keine Lust mehr zum Kochen gehabt. Für einen allein machte das schließlich keinen Spaß, fand Marie. Im Küchenschrank entdeckte sie endlich eine schon etwas ältere Packung Tagliatelle. AUSWÄHLEN. Zwei Dosen Tomaten und eine Kugel Mozzarella aus dem gestrigen Einkauf brachten sie auf die Idee, sich Nudeln auf Capreser Art zu machen. Das Gericht konnte sie sogar auswendig, schließlich hatte sie es mit Ben damals regelmäßig gekocht.
    »Davor hat er sich immer gedrückt«, erinnerte sich Marie, als sie eine große Zwiebel in kleine Würfel hackte. Und obwohl ihr die Tränen über die Wangen liefen, lächelte sie bei diesem Gedanken. Ben hasste Zwiebelschneiden. Das musste immer sie machen, während er sich dem Gemüse oder den Kräutern widmete.
    »Tja, er war eben doch nicht perfekt«, murmelte Marie vor sich hin und schob zufrieden den geschnittenen

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