Dann gute Nacht Marie
man bei der geschäftsmäßigen Abwicklung des eigenen Todes doch etwas aufpassen, dass man nicht zu sehr abstumpfte.
»Stell dir vor, unser Haus hat vor Kurzem den Besitzer gewechselt«, erfand sie aus dem Stegreif. »Der neue Eigentümer ist zwar ganz okay, aber es gibt da ein kleines Problem.«
»Musst du jetzt jede Woche das Treppenhaus putzen, oder steigt er dir etwa nach?« Schön wär’s …
»Nein, viel schlimmer! Er hat die Hausordnung komplett geändert. Das Halten von Haustieren ist jetzt nicht mehr erlaubt!« Diese Notlüge war ziemlich ungefährlich, fand Marie, denn außer ihr hatte im gesamten Gebäude keine der Parteien ein Haustier. Und sie würde Alma hoffentlich auf den Gedanken bringen, sich und ihre große Wohnung als Kasimirs neues Zuhause anzubieten. Stolz auf ihren Einfall, lehnte Marie sich entspannt zurück und wartete auf Almas Reaktion.
WARTEN AUF ANTWORT … Alma schien nachzudenken.
»Das wollen wir doch mal sehen«, platzte sie schließlich heraus. »Das darf der bestimmt gar nicht.«
Na danke. So einfach war es wohl doch nicht. Almas
journalistischer Spürsinn erwachte sogar nach Feierabend bei jedem Thema, bei dem sie eine Ungerechtigkeit auch nur vermutete. Vielleicht war noch etwas zu retten … Zu spät.
Ohne auf Maries vorsichtige Proteste einzugehen, holte Alma sofort ihren Laptop aus dem Arbeitszimmer und startete ihn. LOGIN. Kurze Zeit später war sie bereits mit Hilfe diverser Suchmaschinen auf verschiedenen Internetseiten zu den Themen »Mieterrecht« und »Mieterschutz« unterwegs. Da Recherchieren jeglicher Art zu ihren täglichen Aufgaben zählte, konnte sie ziemlich schnell Ergebnisse präsentieren. »Na, siehst du. Sei froh, dass du eine Journalistin zur Freundin hast!«
Das war Marie natürlich gerade in diesem Moment ganz besonders. Kleinlaut hielt sie sich an ihrer Tasse fest und schielte ahnungsvoll auf Almas Bildschirm, während diese stolz ihre neuen Erkenntnisse referierte. Übermütig las sie eine scheinbar endlose Litanei von Auszügen aus den unterschiedlichsten Internet-Texten vor: »Ist im Bezug auf Haustiere keine Regelung im Mietvertrag verzeichnet, so darf der Mieter auf jeden Fall Kleintiere wie zum Beispiel Fische, Kleinvögel und Goldhamster haben. Was die Haltung von Katzen angeht, ist die Rechtsprechung unterschiedlich.«
Na, Gott sei Dank! Das war’s dann wohl … Leider nicht!
»Aber jetzt pass auf! ›Haben Mieter und Vermieter eine Regelung vereinbart, die nicht im Mietvertrag steht, so ist diese Regelung auch dann gültig, wenn das Halten von Haustieren verboten sein sollte.‹ Was steht denn überhaupt in deinem Mietvertrag?«
Keine Ahnung. Marie wusste zwar, dass die Haustierhaltung
in den Wohnungen des Hauses gestattet war, doch auf welcher Grundlage war ihr bis vor einer halben Stunde noch ziemlich egal gewesen. Und sie wollte auch nicht länger darüber nachdenken, um den ihr zunächst so genial erschienenen Plan nicht noch weiter zu gefährden.
»Was? Du weißt nicht mal, was in deinem Vertrag steht? Vielleicht ist deine Sorge ja ganz umsonst, wenn sich rausstellt, dass alles im Mietvertrag geregelt ist.«
Na danke. Freunde sind wirklich unbezahlbar!
»Und wenn nicht, dann gibt es hier ganz tolle Urteilsbegründungen, mit denen wir super argumentieren können. Hör dir das an: ›Katzen machen keinen Lärm und benutzen normalerweise ein Katzenklo innerhalb der Wohnung. Dadurch ist eine Verschmutzung des Hauses oder ein ungewolltes Zusammentreffen mit anderen Bewohnern kaum möglich.‹ Na, wie findest du das?«
Ganz toll. Dann war’s das jetzt wohl. Von wegen …
»Komm, wir rufen deinen neuen Vermieter gleich mal an und machen ihm ein bisschen Angst! Hast du die Nummer im Handy?« Alma war in ihrem Element. Marie erinnerte sich unweigerlich an Goethes Gedicht »Der Zauberlehrling«, das sie vor zwanzig Jahren im Deutschunterricht auswendig gelernt hatte: »Walle, walle« … »Die ich rief, die Geister/ Werd ich nun nicht los« … »Wehe, wehe« …
»Bist du verrückt? Bevor ich nicht genau weiß, was überhaupt im Mietvertrag steht, werde ich den bestimmt nicht anrufen. Da blamiere ich mich doch bloß.«
»Hast ja recht. Ist vielleicht jetzt wirklich zu früh dafür.«
»In die Ecke, Besen, Besen …« Gerade noch mal gut gegangen … Weit gefehlt!
»Aber wenn der sich von unseren Argumenten nicht beeindrucken lässt, dann machen wir eine Unterschriftensammlung im ganzen Haus. Und wenn keiner was dagegen hat,
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