Dann gute Nacht Marie
dann kann der dir gar nicht verbieten, Kasimir zu behalten.«
Marie hatte große Mühe, ihre Freundin davon abzubringen, noch am selben Tag etwas gegen die, wie sie meinte, Herzlosigkeit des neuen Vermieter-Monsters zu unternehmen. Schließlich ließ sich Alma schweren Herzens darauf ein, zuerst den Mietvertrag einer genauen Prüfung zu unterziehen, bevor nächste Schritte geplant werden konnten. ZWISCHENABLAGE. Marie durfte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn sie nicht binnen kürzester Zeit mit einer guten Ausrede das Thema beenden konnte. Noch hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie aus der Nummer wieder herauskommen sollte. Andererseits erledigte sich das Problem durch ihr baldiges Ableben in Kürze von selbst. Vermutlich war es das Beste, die Freundin in einem Abschiedsbrief (dann eben doch einer!) um die Pflegemutterschaft für Kasimir zu bitten. So engagiert, wie sie sich heute für den Kater eingesetzt hatte, würde sie das vermutlich gerne übernehmen. Und nach ihrem Tod würde das Thema Vermieterhärte aufgrund plötzlicher Gegenstandslosigkeit schnell in Vergessenheit geraten. SPEICHERN.
Erst auf dem Heimweg bemerkte Marie erschrocken, dass sie vor lauter Schadensbegrenzung in eigener Sache vergessen hatte, ihren Tagebuchauszug unbemerkt in Almas Wohnung zu verstecken. Nachdem aber jetzt die Dinge sowieso anders lagen, konnte sie ihn genauso gut dem nun notwendig gewordenen Abschiedsbrief an die Freundin beifügen. Kein Beinbruch also, allenfalls
eine weitere Änderung der ursprünglichen Planung. ÄNDERN.
So musste sich Marie am Ende dieses Tages eingestehen, dass sie die Ziele ihres Besuchs bei Alma kaum erfolgreich verfolgt hatte. Trotzdem hatte sie einen abwechslungsreichen, kurzweiligen Abend erlebt. Und das war bei ihr in letzter Zeit schließlich nicht oft der Fall gewesen. Kurz überkam sie das Gefühl, als würde sie die Freundin im Jenseits vermissen. Doch jetzt war keine Zeit für Sentimentalitäten, fand Marie und löschte das Licht. SIE KÖNNEN DEN COMPUTER JETZT AUSSCHALTEN. ENTER.
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DOKUMENT6. Beim Aufwachen am nächsten Tag galt Maries erster Gedanke ihrer Arbeit. Schließlich konnte sie heute nicht noch einmal blaumachen und den Tag für private Unternehmungen nutzen, nahes Lebensende hin oder her. Demzufolge fielen Frühstück und Körperpflege an diesem Morgen deutlich kürzer aus als am Tag zuvor. Kurz vor halb neun nahm Marie Almas Abschiedsgeschenk wieder aus ihrer Handtasche, packte es erst einmal in die Kommodenschublade und machte sich auf den Weg ins Büro. GEHE ZU … Nicht gerade euphorisch, doch durchaus gelassen kam sie dort an, holte sich eine Tasse Kaffee aus der Teeküche und schaltete den Computer ein.
Beim Durchsehen ihrer E-Mails vom Tag zuvor stieß Marie auf eine Mitteilung der Firmenleitung, die die Projekte des folgenden Jahres ankündigte. In der Hauptsache ging es dabei um die Programmierung einer neuen Tabellenkalkulationssoftware mit deutlich erweiterten Möglichkeiten gegenüber der aktuellen Version. Es sollte im übernächsten Jahr auf den Markt kommen und dann ein bisher kaum bedientes Marktsegment füllen. Sofort verspürte Marie den inneren Drang nach einer derartigen Herausforderung, was ihr in den letzten Jahren kaum mehr passiert war. Zu lange schon war sie hier ausschließlich mit Wartung und Optimierung bereits etablierter
Programme beschäftigt. Ihre letzte Programmierung lag Jahre zurück. WIEDERHERSTELLEN?
Zu schade, dass die Zukunft der Softwarebranche mit ihrem Leben so gar nichts mehr zu tun hatte. Genauso wie die Zukunft verschiedenster anderer Berufsbranchen, Lebensbereiche, Menschen … die Zukunft eben. Zukunft war etwas, worüber sie sich keine Gedanken mehr machen musste, fand Marie. Und das war gut so. Sie schloss die verführerische E-Mail und entsorgte sie vorsichtshalber sofort. WOLLEN SIE DAS DOKUMENT WIRKLICH IN DEN PAPIERKORB VERSCHIEBEN? JA. ENTER. Das weitere Tagesgeschäft versprach kaum interessanter zu werden als der Tagesanfang. Etwas Korrespondenz, ein paar Reklamationen, eine Pressemitteilung - wie aufregend. Marie holte sich eine weitere Tasse Kaffee und tippte das erste Schreiben in ihren PC.
Nach einer guten Stunde ruhigen, um nicht zu sagen langweiligen Arbeitens kündigte sich überraschend eine unvorhergesehene Wende in Maries eintönigem Arbeitsalltag an.
Olaf Schmidt betrat beziehungsweise erstürmte ihr Büro: »Können Sie bis heute Abend eine umfassende Dokumentation unserer bisherigen
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