Dann gute Nacht Marie
Wunder, dass die Körpermilch nicht ranzig roch, sondern immer noch nach Rosen duftete, wie es ihr Etikett versprach.
Frisch gesäubert und gepflegt machte sich Marie wenig später an die Zensur ihres siebten und letzten Tagebuches, das nun in Form eines unscheinbaren und unbeschrifteten kleinen Ringbuchs vor ihr auf dem Tisch lag. BEARBEITEN.
Als sie das Büchlein aufschlug und die ersten Seiten überflog, wurde ihr klar, dass sie es jetzt mit den unglücklichsten Jahren ihres Lebens zu tun bekam. Wenn sie nicht wollte, dass man sie nach ihrem Tod für einen einsamen Trauerkloß hielt, dann war die Zensur des letzten Tagebuchs ein hartes Stück Arbeit. Beim Durchblättern entdeckte Marie nur wenige erquickliche Episoden. ANSICHT. Da war die Geschichte mit Alma Pauli, ihrer besten Freundin, die sie vor einigen Jahren an einem Samstagvormittag beim Einkaufen in der Fußgängerzone kennengelernt hatte. Also sie, Marie, war beim Einkaufen gewesen. Alma, feste Mitarbeiterin in der Lokalredaktion der »Süddeutschen«, machte an diesem Tag in der Innenstadt eine Umfrage zum Thema »Merkurtransit«. Dabei hoffte sie zu erfahren, wie viele der Passanten aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten mit dem seltenen Himmelsereignis zumindest grob etwas anfangen konnten.
»Entschuldigen Sie, ich mache eine Umfrage für die ›Süddeutsche Zeitung‹. Was fällt Ihnen zum Thema ›Merkurtransit‹ ein?« Sicher hatte Alma diesen Satz schon einige Male wiederholt, bevor sie im allgemeinen Wochenendtrubel auf Marie traf.
»Ich halte das für ökologisch ziemlich fragwürdig und außerdem für viel zu teuer und unwirtschaftlich.«
Überrascht und doch interessiert sah Alma die junge Frau an, die offensichtlich gut informiert war über ein Thema, zu dem die meisten der Befragten nur große Augen und ein Schulterzucken parat hatten. Und doch konnte die Journalistin nur schwer eine Verbindung zwischen ihrem eigenen Kenntnisstand und den Argumenten der Unbekannten herstellen.
Auf ihre Nachfrage hin zögerte Marie keinen Moment, ihre Argumentation weiter auszuführen: »Die Baukosten des Projekts werden enorm sein und sich mit der Beförderung von Fluggästen auch nicht wieder erwirtschaften lassen. Ganz zu schweigen von der Umweltbelastung, die durch diese Magnetschnellbahn verursacht wird.« Marie hatte wenige Tage vorher einen Bericht im Fernsehen darüber gesehen und fühlte sich deshalb glänzend informiert.
»Ach, Sie meinen den Transrapid!« Endlich wurde Alma klar, wovon diese Frau sprach. »Meine Umfrage behandelt aber das Thema ›Merkurtransit‹. Dabei geht es um die partielle Bedeckung der Sonne durch den Planeten Merkur. Können Sie mir dazu vielleicht etwas sagen?«
Marie, die gerade ansetzte, mit ihrer Contra-Transrapid-Argumentation fortzufahren, verstummte schlagartig und wäre am liebsten im Erdboden versunken. RÜCKGÄNGIG. Als Alma bemerkte, wie peinlich der anderen das Missverständnis
war, lud sie sie spontan zu einem Kaffee ein. Marie nahm an, und so ergab sich aus ihrer unangenehmen Panne, wie schon so oft nach Humphrey Bogart, der »Beginn einer wunderbaren Freundschaft«.
Obwohl diese Geschichte die netteste war, die Marie beim Durchblättern ihres letzten Tagebuchs finden konnte, spürte sie beim Lesen immer noch ein leichtes Schamgefühl wegen ihrer Unwissenheit. Nicht Alma gegenüber. Zu oft schon hatten sie seither über die Geschichte gemeinsam gelacht. Einem Außenstehenden gegenüber, für den die Zensur der Tagebücher schließlich gedacht war, wollte sie die peinliche Episode jedoch lieber verschweigen. Die vollständige Entsorgung brachte Marie allerdings nicht übers Herz. Überraschenderweise hing sie doch an einigen wenigen Erlebnissen ihres vergangenen Lebens. Der Anfang ihrer Freundschaft mit Alma gehörte dazu.
Bei ihrem ersten Gespräch in einem kleinen Café am Stachus hatten sie sehr schnell viele Gemeinsamkeiten entdeckt, bis hin zu ihrer beider Unkenntnis in Bezug auf astronomische Ereignisse. Auch Alma hatte vor ihrer Recherche zum Thema »Merkurtransit« diesen Begriff noch nie gehört. Und auch sie lebte schon seit einigen Jahren ohne feste Beziehung. Doch im Gegensatz zu Marie hatte die Achtunddreißigjährige kein Problem damit.
»Männer stören doch nur«, verkündete sie immer wieder und meinte damit wohl in erster Linie ihren beruflichen Werdegang, dem sie so einiges zu opfern bereit war. Alma war Journalistin mit Leib und Seele, weshalb sie auch keinen Moment
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